
Streetpaper-Analyse: Kontext & Anpassung
Dokumentinformationen
Autor | Melanie Zorn |
instructor/editor | Dr. Manfred Nagl |
Schule | Hochschule der Medien Stuttgart |
subject/major | Medien- und Kommunikationsmanagement |
Dokumenttyp | Bachelorarbeit |
city | Stuttgart |
Sprache | German |
Format | |
Größe | 433.31 KB |
Zusammenfassung
I.Streetpaper Bewegung Definition und Intention
Die Arbeit untersucht Streetpapers als soziale Innovation der 90er Jahre. Diese Straßenzeitungen werden von meist obdachlosen oder langzeitarbeitslosen Menschen verkauft, die einen Großteil des Verkaufspreises behalten. Das Ziel ist die Armutsbekämpfung durch Hilfe zur Selbsthilfe, Verbesserung der Selbstachtung und des Lebensstandards. Streetpapers sollen den Teufelskreis aus Abhängigkeit, Passivität und Perspektivlosigkeit durchbrechen. Das INSP (International Network of Street Papers) fördert den Austausch und die Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Streetpapers weltweit.
1. Definition von Streetpapers
Streetpapers werden als mediale Innovation der 90er Jahre beschrieben, die darauf abzielen, die materielle Lage und die Selbstachtung sozial schwacher Menschen zu verbessern. Der Vertrieb erfolgt überwiegend durch Obdachlose oder Langzeitarbeitslose, die die Zeitungen zu einem festen Preis einkaufen und den Gewinn beim Weiterverkauf behalten. Dieser Gewinnanteil liegt meist zwischen 50 und 60 Prozent des Verkaufspreises, kann durch Aufrunden durch die Käufer jedoch höher ausfallen. Durch dieses eigenverantwortliche Einkommen soll der Kreislauf aus Abhängigkeit von staatlicher Unterstützung, Passivität, Perspektivlosigkeit und oft auch Alkohol- oder Drogenmissbrauch durchbrochen werden. Das Modell ermöglicht den Betroffenen, ihren Lebensunterhalt selbst zu verdienen oder ihren Lebensstandard durch zusätzliches Einkommen zu verbessern.
2. Ziele und Intentionen der Streetpaper Bewegung
Das übergeordnete Ziel der Streetpaper-Bewegung ist die Hilfe zur Selbsthilfe für sozial benachteiligte Menschen. Streetpapers sollen nicht nur ein Einkommen generieren, sondern auch die Selbstachtung und das Selbstwertgefühl der Verkäufer fördern. Der Verkauf der Zeitung bietet eine Möglichkeit, wieder am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen und eine neue Perspektive zu entwickeln. Die Vermeidung von Abhängigkeit und die Förderung von Eigeninitiative stehen im Vordergrund. Der Prozess soll die Betroffenen befähigen, ihr Leben aktiv zu gestalten und aus der Spirale der Armut und sozialen Ausgrenzung auszubrechen. Das zusätzliche Einkommen soll dabei als Katalysator für Veränderung dienen und den Zugang zu weiteren Unterstützungsmöglichkeiten erleichtern.
3. Das INSP und der internationale Austausch
Das International Network of Street Papers (INSP) spielt eine wichtige Rolle im Kontext der Streetpaper-Bewegung. Es fördert den Erfahrungsaustausch und die Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Streetpaper-Projekten weltweit. Das INSP organisiert jährliche Konferenzen an wechselnden Orten, um die Globalität des Netzwerks zu betonen und den Austausch von Ideen und Best Practices zu ermöglichen. Zu den Teilnehmern zählen Vertreter aus Wirtschaft, Regierung, Institutionen und NGOs. Neben dem fachlichen Austausch dient das INSP auch der Vernetzung der einzelnen Streetpaper-Projekte, um Synergien zu nutzen und gemeinsame Strategien zu entwickeln. Ein weiteres Beispiel für die internationale Zusammenarbeit ist der Homeless World Cup, bei dem Streetpaper-Verkäufer ihre Länder repräsentieren. Das INSP verfolgt das Motto „INSP – a united voice against poverty“, was die gemeinsame Mission gegen Armut verdeutlicht.
4. Vielfalt und Herausforderungen von Streetpapers
Obwohl Streetpapers eine gemeinsame Basis und oft ähnliche Konzepte verfolgen, zeigen sie auch erhebliche Unterschiede. Diese betreffen sowohl formale Aspekte wie Auflage, Erscheinungsweise und Organisationsstruktur als auch inhaltliche Aspekte wie Profil, Niveau und Selbstverständnis. Der Ruf einzelner Streetpapers kann unterschiedlich sein, was sich auf die Bereitschaft der Verkäufer auswirken kann. In einigen Ländern wird die Tätigkeit als Streetpaper-Verkäufer positiv bewertet, in anderen eher negativ. Die Inhalte der Streetpapers reichen von reinen Betroffenenpublikationen bis zu anspruchsvollen Magazinen mit Feuilleton-Charakter. Oftmals formulieren Streetpaper-Teams hohe, idealistische Ziele, deren Umsetzung durch organisatorische Schwächen, mangelnde Professionalität und Überlastung behindert wird. Die Balance zwischen wirtschaftlichem Denken und sozialer Arbeit stellt eine besondere Herausforderung dar.
5. Konflikte und Abhängigkeiten
Streetpapers versuchen kritisch über die Situation sozial schwacher Menschen zu berichten, um Verbesserungen zu erreichen. In der Praxis sind sie jedoch oft von verschiedenen Institutionen abhängig. Der Vertrieb erfolgt beispielsweise oft in Räumen von Wohnungslosenhilfeeinrichtungen, oder es gibt Vereinbarungen mit Sozialverwaltungen bezüglich der Anrechnung von Einnahmen auf Sozialleistungen. Die Notwendigkeit, Genehmigungen für den Straßenverkauf von Städten und Geschäften einzuholen, kann die kritische Berichterstattung über diese Institutionen einschränken, da negative Berichterstattung die Existenz der Streetpaper gefährden könnte. Die ehrenamtliche Mitarbeit von Angestellten der zuständigen Ämter erschwert ebenfalls eine unabhängige Berichterstattung. Diese Abhängigkeiten werden jedoch oft in Kauf genommen, da sie gleichzeitig Vorteile für die Streetpaper bieten.
II.Das Beispiel The Big Issue
"The Big Issue", ein Vorbild für viele Streetpapers, entstand in Großbritannien 1991. Das erfolgreiche Geschäftsmodell wurde international adaptiert, z.B. in Australien, Südafrika und Namibia. Die Nutzung des Markennahmen "The Big Issue" erleichtert den Markteintritt und die Finanzierung. Obwohl die einzelnen Ausgaben eigenständig sind, teilen sie ein gemeinsames Ethos und ähnliche Prinzipien, angepasst an die jeweiligen nationalen Gegebenheiten.
1. Entstehung und Erfolg von The Big Issue
"The Big Issue", entstanden 1991 in London, ist ein Paradebeispiel für das Streetpaper-Modell. Angefangen mit einer Auflage von 50.000 Exemplaren, stieg die Nachfrage schnell auf 100.000 Exemplare im Dezember desselben Jahres. Initiiert von John Bird, einem Drucker mit Erfahrung als ehemaliger Krimineller und Obdachloser, wurde das Projekt vom Body Shop mit Startkapital unterstützt, obwohl die interne Kommunikationsabteilung des Unternehmens zunächst skeptisch war. Der Erfolg von "The Big Issue" basiert auf dem Prinzip der Selbstvermarktung durch Obdachlose und Arbeitslose, die einen erheblichen Anteil des Verkaufspreises einbehalten. Die Unterstützung durch eine Werbeagentur und die Presseagentur Reuters mit kostenlosen Journalismuskursen trug zusätzlich zum Erfolg bei. "The Big Issue" dient seither als Blaupause für zahlreiche Streetpaper-Projekte weltweit.
2. Internationale Ausbreitung des The Big Issue Modells
Das erfolgreiche Konzept von "The Big Issue" wurde international adaptiert, wobei verschiedene nationale Ausgaben entstanden sind. Beispiele hierfür sind "The Big Issue Australia" und "The Big Issue South Africa". Die jüngste Ausgabe ist "The Big Issue Namibia", welche im Fokus der vorliegenden Arbeit steht. Diese internationalen Ableger erhielten Starthilfe durch Beratung und finanzielle Unterstützung von der ursprünglichen britischen Ausgabe oder anderen Versionen. Trotz der Nutzung des Namens und der Ähnlichkeit in den Grundprinzipien und dem Ethos agieren diese Ausgaben als eigenständige Unternehmen. Die Lizenz zur Nutzung des Namens ist nicht an finanzielle Verpflichtungen geknüpft und beinhaltet keine offiziellen Vorgaben. Die Inhalte sind zwar den britischen Vorbildern ähnlich, aber an die nationalen Gegebenheiten angepasst.
3. Die Vorteile der The Big Issue Marke
Ein entscheidender Faktor für den Erfolg der internationalen Ausbreitung des "The Big Issue"-Modells ist die bereits etablierte und bekannte Marke. Der Name verschafft einen erheblichen Vorteil beim Markteintritt und erleichtert die Akquise von Sponsoren. Das bewährte Konzept minimiert das Risiko und schafft Vertrauen bei potenziellen Unterstützern. Die bestehenden "The Big Issue"-Ausgaben bieten außerdem Hilfe beim Aufbau neuer Projekte, inklusive Beratung und oft auch finanzieller Unterstützung. Das etablierte redaktionelle Prinzip kann übernommen und an die jeweiligen Bedürfnisse angepasst werden. Diese Unterstützung und das bewährte Konzept reduzieren Unsicherheiten und steigern die Erfolgschancen neuer Streetpaper.
III. Trott war Ein deutsches Streetpaper
Die deutsche Straßenzeitung Trott-war (gegründet 1994 in Stuttgart mit einer Anfangsauflage von 20.000 Exemplaren, später bis zu 35.000) in Baden-Württemberg orientiert sich am Konzept von Streetpapern, jedoch ohne die Marke "The Big Issue" zu verwenden. Die Verkäufer erhalten einen Teil des Verkaufserlöses. Baden-Württemberg weist eine relativ gute wirtschaftliche Situation auf, weswegen die Trott-war Verkäufer meist nicht obdachlos sind. Die Auflage stabilisierte sich später auf einem niedrigeren Niveau. Die Zeitung thematisiert soziale Probleme und versucht, diese in die öffentliche Diskussion zu bringen. Die Zusammenarbeit mit lokalen Behörden und Institutionen ist wichtig für den Vertrieb und die Finanzierung, beeinflusst aber auch die kritische Berichterstattung. Die größten Städte Baden-Württembergs, relevant für den Vertrieb, sind z.B. Stuttgart, Pforzheim (119.000 Einwohner) und Reutlingen (112.000 Einwohner).
1. Gründung und Konzept der Trott war
Die Trott-war, gegründet am 10. November 1994 auf Initiative der Caritas, der Evangelischen Gesellschaft, Journalisten und Privatpersonen, orientiert sich stark am Konzept des Hamburger Streetpapers „Hinz und Kunzt“. Das redaktionelle Konzept stammt von Helmut H. Schmidt, dem heutigen Geschäftsführer. Die Erstausgabe erschien am 17. November 1994 mit einer Auflage von 20.000 Exemplaren und steigerte sich bis 1998 auf 35.000 Exemplare monatlich, bevor sie sich auf einem niedrigeren Niveau stabilisierte. Im Gegensatz zu anderen Publikationen profitiert die Trott-war von ihrem besonderen Vertriebsmodell über den Straßenverkauf und umgeht somit den Wettbewerb in den Auslagen der Kioske. Die Zusammenarbeit mit anderen deutschen Streetpapieren, insbesondere den INSP-Mitgliedern, ist freundschaftlich und partnerschaftlich geprägt, wodurch Konkurrenz vermieden wird.
2. Verkäuferstruktur und situation der Trott war
Die Trott-war beschäftigt festangestellte Verkäufer, die einen regulären Arbeitsplatz mit festem Gehalt und sozialversicherungsrechtlichem Schutz erhalten. Diese müssen monatlich mindestens 1.000 Exemplare verkaufen und sichern somit die Kontinuität der Auflagenzahlen. Derzeit sind aufgrund der unsicheren sozialpolitischen Lage nur vier Verkäufer fest angestellt. Ein Großteil der Verkäufer hat oder hatte Probleme mit Alkohol- oder Drogenmissbrauch und Schulden. Bei den weiblichen Verkäuferinnen sind psychische Probleme weit verbreitet. Es gibt einen festen Kern von langjährigen Verkäufern, aber auch viele, die die Tätigkeit nur kurzzeitig ausüben. Obdachlosigkeit ist unter den Trott-war Verkäufern, anders als bei TBIN, kein relevantes Problem, da alle bei Bedarf in Sozialwohnungen oder Wohnheimen untergebracht werden.
3. Leserschaft und Absatz der Trott war
Stammleser sehen den Kauf der Trott-war nicht nur als Spende, sondern zeigen ein echtes Interesse an den Inhalten. Sowohl Verkäufer als auch Vertriebsmitarbeiter und der Geschäftsführer erkennen Umsatzschwankungen, die auf die Attraktivität der jeweiligen Ausgabe und insbesondere des Titelblatts zurückzuführen sind. Neben saisonalen und wetterbedingten Faktoren spielen die Inhalte eine entscheidende Rolle für den Absatz. Werbung auf den Innenseiten macht 7,04% der durchschnittlichen Gesamtseitenzahl aus. Die Coverseiten dienen hauptsächlich Werbezwecken, wobei im Jahr 2005 ein Fortschritt zu erkennen ist, da in der Septemberausgabe eine ganzseitige Anzeige eines großen Stuttgarter Wirtschaftsunternehmens abgedruckt wurde. Bis dahin wurde ein Großteil der Coverseiten mit Eigenwerbung gefüllt, da offenbar nicht genügend Werbekunden zur Verfügung standen.
4. Soziale Wirkung und Einfluss der Trott war
Die Trott-war thematisiert, obwohl durch Abhängigkeiten von Institutionen und Förderern oft nicht allzu kritisch, soziale Probleme wie Wohnungslosigkeit. Durch den Straßenverkauf werden die Betroffenen sichtbar und die Themen in die öffentliche und politische Diskussion gebracht. Der Erfolg der Trott-war zeigt sich in der großen Leserschaft, zunehmender Hilfsbereitschaft und einem gesteigerten Interesse an sozialen Themen. Die Sichtbarkeit der Verkäufer und die Darstellung ihrer Schicksale spielen für die Leserschaft eine große Rolle, was beispielsweise an der Beliebtheit der Verkäuferprofile erkennbar ist. Der Erfolg der Trott-war führte sogar zur Einrichtung einer neuen Rubrik mit sozialen Themen bei einer großen regionalen Tageszeitung.
IV. The Big Issue Namibia TBIN Ein namibisches Streetpaper
Im Gegensatz zur Trott-war nutzt The Big Issue Namibia (TBIN) die etablierte Marke. Namibia bietet, trotz geringerer wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit im Vergleich zu Deutschland, eine gewisse Infrastruktur und potentielle Käufer. Die Auflage liegt bei 14.000 bis 18.000 Exemplaren monatlich. Im Unterschied zu Deutschland ist Arbeitslosigkeit in Namibia, besonders unter jungen Menschen, sehr hoch, und viele Verkäufer sind obdachlos. TBIN bietet zusätzliche Unterstützung, wie Duschen und eine Suppenküche, an. Die Leserschaft ist jünger als bei der Trott-war und besteht zu 72% aus Frauen. Der Kauf wird häufig durch den sozialen Aspekt, aber auch durch die Inhalte motiviert. Die Regierung Namibias hat einen starken Einfluss auf die Medienlandschaft, was zu einer gewissen Selbstzensur führen kann.
1. Profil und Kontext von The Big Issue Namibia TBIN
The Big Issue Namibia (TBIN) ist eine monatliche Streetpaper-Ausgabe mit einer Auflage von 14.000 bis 18.000 Exemplaren. Im Gegensatz zu Deutschland, wo die Trott-war untersucht wurde, ist Namibia ein Entwicklungsland mit einer deutlich schwächeren Wirtschaft. Trotzdem verfügt Namibia über eine ausreichende Infrastruktur und eine wohlhabende Gesellschaftsschicht, die als potentielle Käufer für eine Straßenzeitung fungieren können. Diese Bedingungen sind in anderen, noch ärmeren Ländern möglicherweise nicht gegeben. Die Nutzung des etablierten Namens "The Big Issue" erleichtert den Markteintritt und die Suche nach Sponsoren. Die deutsche Sprache spielt in Namibia immer noch eine Rolle, da sie während der deutschen Kolonialzeit weit verbreitet war; Namibia gilt als relativ europäisch geprägtes afrikanisches Land. Dies ermöglicht einen Vergleich mit dem deutschen Kontext, trotz der großen Unterschiede.
2. Verkäufer und ihre Situation bei TBIN
Im Gegensatz zu den Trott-war Verkäufern, die in der Regel nicht obdachlos sind, ist ein großer Teil der TBIN-Verkäufer obdachlos, oft junge Männer, die seit Jahren auf der Straße leben. Die hohe Arbeitslosigkeit in Namibia, besonders unter jungen Menschen, trägt maßgeblich zu dieser Situation bei. Viele Verkäufer haben Probleme mit Alkohol- oder Drogenmissbrauch und Schulden, bei Frauen sind psychische Probleme weit verbreitet. Die hohe Fluktuation der Verkäufer erschwert die Planung. TBIN bietet zusätzliche Unterstützung wie Duschen, Waschmaschinen und eine Suppenküche an, um den Bedürfnissen der obdachlosen Verkäufer gerecht zu werden. Ausbildungsmöglichkeiten werden zwar angeboten (z.B. als Installateur), werden aber oft frühzeitig abgebrochen, da der Wechsel vom unstrukturierten Leben auf der Straße zu einem geregelten Alltag für die Betroffenen schwierig ist.
3. Leserschaft und Inhalte von TBIN
Die Leserschaft von TBIN verteilt sich relativ gleichmäßig auf die Altersgruppen der 20- bis 59-Jährigen. Im Gegensatz zur Trott-war Leserschaft ist die TBIN-Leserschaft deutlich jünger. 72% der Leser sind Frauen. Als Hauptgrund für den Kauf werden die enthaltenen Informationen (48%) und die Unterstützung der Verkäufer (35%) genannt; Frauen legen dabei einen stärkeren Fokus auf die soziale Komponente. Die Namibia-Orientierung der Inhalte ist besonders für männliche Leser wichtig. TBIN übt keine explizite Kritik an den politischen Verhältnissen und nur implizit an den sozialen Verhältnissen, was auf die Selbstzensur der namibischen Medienlandschaft zurückzuführen ist. Trotzdem erfüllt TBIN ihre inhaltlichen Zielsetzungen, indem sie soziale Themen behandelt und Beiträge von Verkäufern integriert. Verkäuferbeiträge machen 6,3% und verkaüferbezogene Artikel 5,3% des Inhalts aus.
4. Finanzierung und Vertrieb von TBIN
Die Finanzierung von TBIN basiert auf Spenden, wobei die Verkaufserlöse im Vergleich zur Trott-war einen geringeren Anteil ausmachen. Dies ist wahrscheinlich auf die geringere Motivation und die kürzeren Arbeitszeiten der namibischen Verkäufer zurückzuführen. Ein erheblicher Teil der Verkäuferbetreuung erfolgt ehrenamtlich durch Organisationen. Auch bei TBIN ist die Genehmigung des Verkaufs in Geschäften notwendig, wird aber meist erteilt. Im Unterschied zu Deutschland erhält TBIN keine staatliche Unterstützung, der Straßenverkauf ist nicht genehmigungspflichtig, und es gibt keine finanziellen Unterstützungsleistungen, die auf die Einnahmen der Verkäufer angerechnet werden müssten. "The Big Squeeze", eine Art In-Sourcing von Layout- und Druckleistungen für andere Publikationen, spielt eine wichtige Rolle für die Finanzierung.
V.Vergleich Trott war und The Big Issue Namibia
Der Vergleich von Trott-war und TBIN zeigt die Anpassung des Streetpaper-Konzepts an die jeweiligen Länderkontexte. Während Trott-war auf einen eigenständigen Weg setzt, profitiert TBIN von der etablierten Marke "The Big Issue". Die unterschiedlichen sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen in Deutschland und Namibia führen zu Unterschieden in der Verkäufer-Struktur (z.B. Obdachlosigkeit), der Finanzierung und den Inhalten der Streetpapers. Der soziale Aspekt spielt in Namibia eine größere Rolle, während in Deutschland das Interesse an den Geschichten der Verkäufer stärker ausgeprägt ist.
1. Grundlegende Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen Trott war und TBIN
Sowohl die Trott-war als auch The Big Issue Namibia (TBIN) sind Mitglieder des INSP und basieren auf dem Prinzip von "The Big Issue". Ihre Grundprinzipien sind daher sehr ähnlich. Alle Unterschiede lassen sich auf den individuellen Geschmack der Macher oder die spezifische Situation im Verbreitungsgebiet zurückführen. Ein wichtiger Unterschied besteht darin, dass nur TBIN den Markennamen "The Big Issue" verwendet. Die Trott-war hingegen hat sich für einen eigenen Namen entschieden, möglicherweise auch aufgrund der bereits bestehenden Streetpaper-Szene in Deutschland vor ihrer Gründung. Die jeweilige inhaltliche Ausrichtung und der Fokus der beiden Streetpaper unterscheiden sich ebenfalls deutlich, abhängig von den jeweiligen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bedingungen.
2. Strukturelle Unterschiede Annahme des The Big Issue Konzepts
Obwohl beide Streetpaper an "The Big Issue" orientiert sind, unterscheidet sich die Intensität der Übernahme des Konzepts. TBIN hat den Markennamen übernommen, was den Markteintritt und die Sponsorensuche erleichterte. Die Trott-war verzichtete darauf, vermutlich auch weil bereits verschiedene Streetpaper in Deutschland existierten und die starke Beteiligung von Caritas und Evangelischer Gesellschaft in der Gründungsphase im Widerspruch zu den Prinzipien von "The Big Issue" stand. Die Geschäftsführung von TBIN hatte keine vorherige Erfahrung im Medienbereich, während der Geschäftsführer der Trott-war bereits Erfahrung in der Tagespresse gesammelt hatte. TBIN orientierte sich stärker am britischen Stil von "The Big Issue", beeinflusst durch die frühere Herausgeberin Sarah Taylor mit Berufserfahrung in Großbritannien, und die geschichtliche Verbindung Namibias zu Südafrika und Großbritannien. Die Trott-war hingegen verfolgte einen eher individuellen Ansatz.
3. Strukturelle Unterschiede Verkäufer und Leserschaft
Die Altersstruktur der Verkäufer unterscheidet sich deutlich. Bei der Trott-war sind die Verkäufer überwiegend älter, was auf die in Baden-Württemberg vorhandenen Unterstützungsmöglichkeiten für junge Menschen und die Schulpflicht zurückzuführen sein könnte. In Namibia hingegen sind Kinder und Jugendliche besonders gefährdet, frühzeitig in einen Kreislauf aus Arbeitslosigkeit und Obdachlosigkeit zu geraten. Dies erklärt die hohe Anzahl junger Verkäufer bei TBIN. Die wirtschaftliche Situation der Trott-war-Verkäufer ist deutlich besser, da Baden-Württemberg ein ausgebautes soziales Netz bietet, das in Namibia fehlt. Dies spiegelt sich in der Obdachlosigkeit der TBIN-Verkäufer wider, im Gegensatz zu den Trott-war-Verkäufern, die in Sozialwohnungen oder Wohnheimen untergebracht sind. Zusätzliche Angebote wie Duschen und eine Suppenküche sind bei TBIN aufgrund der Obdachlosigkeit der Verkäufer notwendig, im Gegensatz zur Trott-war. Das Interesse an den Verkäufergeschichten ist bei den Trott-war-Lesern höher, möglicherweise da sichtbare Armut in Namibia alltäglicher ist.
4. Strukturelle Unterschiede Finanzierung
Bei beiden Streetpapieren sind die Werbeeinnahmen gering, ein Großteil des Budgets stammt aus Spenden. Die Verkaufserlöse bilden bei der Trott-war einen größeren Anteil der Einnahmen als bei TBIN. Dies könnte an der höheren Motivation und den längeren Arbeitszeiten der Trott-war-Verkäufer liegen. TBIN stützt sich stärker auf ehrenamtliche Mitarbeiter in der Verkäuferbetreuung und erhält keine staatliche Unterstützung. Der Straßenverkauf benötigt keine Genehmigung, und es gibt keine finanziellen Unterstützungsleistungen, die auf die Einnahmen der Verkäufer angerechnet werden müssten. Die Trott-war hingegen profitiert von einem besseren sozialen Netz und muss mit den entsprechenden staatlichen Leistungen rechnen.
Dokumentreferenz
- Long Walks to Media Freedom: Case studies and lessons learnt from countries in transition from authoritarian rule to democracy (Bussiek, Hendrik)