Das digitale Ich. Zwischen Gemeinschaft und Abgrenzung - drei Fallstudien

Digitales Ich: 3 Fallstudien

Dokumentinformationen

Autor

Carola Becker

instructor/editor Prof. Dr. Oliver Zöllner
Schule

Hochschule der Medien Stuttgart

Fachrichtung Elektronische Medien
Dokumenttyp E-Book, drei sozialwissenschaftliche Fallstudien
Veröffentlichungsjahr 2016
Ort Stuttgart
Sprache German
Format | PDF
Größe 7.70 MB

Zusammenfassung

I.Sharing Economy und Vertrauen auf Airbnb Eine empirische Untersuchung

Diese Studie untersucht Vertrauen in der Sharing Economy, speziell auf der Plattform Airbnb. Sie kombiniert qualitative und quantitative Forschungsmethoden, um Faktoren zu identifizieren, die das Vertrauen von Nutzern und Nicht-Nutzern beeinflussen. Die Studie basiert auf sechs qualitativen Tiefeninterviews und einer anschließenden quantitativen Analyse, um Hypothesen zu Vertrauensfaktoren zu testen. Untersucht werden unter anderem die Rolle von Bewertungen, der Informationsqualität, der Systemqualität, dem Servicegrad, und der Risikowahrnehmung.

1. Einleitung Sharing Economy und der Vertrauensfaktor

Die Einleitung führt in das Thema der Sharing Economy ein, die durch die zunehmende Digitalisierung und den Wunsch nach effizienter Ressourcennutzung an Bedeutung gewonnen hat. Plattformen wie Airbnb, Uber und BlaBlaCar werden als Beispiele genannt. Die Studie betont die veränderte Einstellung der Menschen zum Umgang mit Gütern – Teilen statt Besitzen. Airbnb wird als besonders relevantes Beispiel hervorgehoben, da es die Möglichkeit bietet, private Unterkünfte kostengünstiger als Hotels anzubieten. Ein zentraler Aspekt, der für das Funktionieren solcher Plattformen unerlässlich ist, ist das Vertrauen, da Anbieter und Nutzer sich in der Regel nicht persönlich kennen und über das Internet interagieren. Die damit verbundenen Ungewissheiten, wie z.B. die potentielle Beschädigung der Unterkunft oder die Sicherheit des Nutzers, machen Vertrauen zum entscheidenden Faktor für den Erfolg der Sharing Economy.

2.1 Sharing Economy und Airbnb Begriffliche Einordnung und Funktionsweise

Dieser Abschnitt definiert den Begriff der Sharing Economy, der im Ursprung vom Ökonomen Martin L. Weitzman (1986) geprägt wurde und sich auf das Teilen von Firmenprofiten bezog. Heute versteht man darunter eher den „kollektiven Konsum“ (Rachel Botsman, 2010), bei dem Dienstleistungen oder Produkte geteilt werden. Airbnb wird als Beispiel für eine Flat-Sharing-Plattform genannt, die durch die Digitalisierung (Webseiten, Apps, soziale Netzwerke) stark vereinfacht wurde. Das System von Airbnb ermöglicht es Anbietern, ihre privaten Unterkünfte online anzubieten und Nutzern, diese zu buchen. Airbnb selbst erhält dabei einen Teil der Vergütung. Die Plattform fungiert als Vermittler und bietet ein Buchungssystem, senkt die Kosten für Anbieter und Nutzer und fördert somit das Teilen von Ressourcen. Der Abschnitt unterstreicht die Bedeutung der Plattform als effizienter Vermittler zwischen Anbietern und Nachfragern und die damit verbundene Kostenreduktion.

2.2 Vertrauen Theoretische Grundlagen

Dieser Teil beleuchtet die theoretischen Grundlagen des Vertrauens im Kontext der Sharing Economy. Die Studie bezieht sich auf die Arbeiten von Niklas Luhmann und Udo Thiedeke („Trust, but test!“, 2007), die Vertrauen als Mechanismus sozialer Ordnung in virtuellen Gemeinschaften beschreiben. Thiedeke betont die Reproduktion realer sozialer Systeme im virtuellen Raum und die essentielle Rolle des Vertrauens. Die Wirtschaftswissenschaftler Böhm, Niklas und Haas (Urban 2012) betonen die Unmöglichkeit vollkommener Informationsverfügbarkeit und die daraus resultierende Bedeutung von Vertrauen. Sie heben die Rolle von Informationen und Erfahrungen als Grundlage für Vertrauen hervor. Dennis Ahrholdt (2010) unterscheidet zwischen spontanem und überlegtem Vertrauen. Der Abschnitt differenziert zwischen personalem Vertrauen (in Individuen) und Systemvertrauen (in Institutionen). Anthony Giddens’ (1996) Theorie, die Systemvertrauen auf interpersonale Beziehungen zurückführt, wird ebenfalls erwähnt. Schließlich werden verschiedene Vertrauensebenen im Internet nach Manuela Wolf und Thomas Urban (2012) vorgestellt, die von der Informationsebene bis zur Technologieebene reichen.

II.Vertrauensfaktoren auf Airbnb Qualitative Ergebnisse

Die qualitative Inhaltsanalyse der Interviews ergab sieben Überkategorien relevanter Vertrauensfaktoren. Wichtige Aspekte sind die Authentizität von Bewertungen, die Rolle von Empfehlungen von Freunden und gemeinsamen Facebook-Freunden, die Expertise und Risikoübernahme durch Airbnb als Organisation, sowie die Wahrnehmung von Risiken im Umgang mit unbekannten Gastgebern und Nutzern. Die Mangelnde Erfahrung mit der Plattform und der kommerzielle Hintergrund von Airbnb wurden ebenfalls als Einflussfaktoren auf das Vertrauen identifiziert.

1. Bewertungen als zentraler Vertrauensfaktor

Die qualitative Analyse der sechs Tiefeninterviews zeigt, dass Bewertungen einen maßgeblichen Einfluss auf das Vertrauen in Airbnb haben. Diese umfassen sowohl Nutzerbewertungen auf den Profilen als auch Empfehlungen von Freunden. Die qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring identifiziert „Bewertungen“ als übergeordnete Kategorie. Untere Kategorien beinhalten die Authentizität der Bewertungen, das Feedback anderer Nutzer (wichtig für die Orientierung und Entscheidungsfindung), die Anzahl der Bewertungen, Empfehlungen von Freunden und das Vorhandensein gemeinsamer Facebook-Freunde. Das Feedback anderer dient als Maßstab, um die Eignung des Angebots zu beurteilen. Die Aussage einer Testperson: „[...] es sollte eine Art Feedback geben, eine Feedback-Funktion, dass ich wirklich auch sehen kann ok, jemand der dort gewohnt hat war zufrieden, hat alles geklappt, war planmäßig und ist nichts dazwischen gekommen“ (M30) verdeutlicht diesen Punkt. Gemeinsame Facebook-Freunde reduzieren die Anonymität und ermöglichen persönliche Rückfragen.

2. Airbnb als Organisation Expertise und Risikoübernahme

Ein weiterer wichtiger Vertrauensfaktor ist die Wahrnehmung von Airbnb als offizielle Organisation mit Expertise im Hintergrund. Dies unterscheidet Airbnb von inoffiziellen Anbietern und beeinflusst das Vertrauen positiv. Die Testpersonen schätzen die Expertise von Airbnb, den Überblick über Abläufe zu behalten und im Zweifelsfall als Ansprechpartner zur Verfügung zu stehen. Die Aussage: „Wobei wenn die Organisation sich gut auskennt, über alles Bescheid weiß, dann brauch ich ja kein Kontakt zum Eigentümer.“ (M30) spiegelt diese Einschätzung wider. Die offizielle Plattform bietet einen strukturellen Rahmen und die Professionalität der Webseite, insbesondere bei der Zahlungsabwicklung, wird positiv hervorgehoben. Besonders wichtig ist die Risikoübernahme durch Airbnb, insbesondere bei finanziellen Transaktionen. Diese wird als implizite Sicherheit wahrgenommen und stärkt das Vertrauen in die Plattform, wie die Aussage: „Durch diese offizielle Zahlungsabwicklung, da bildet man sich ein auch irgendwie abgesichert zu sein...“ (M26) verdeutlicht.

3. Risiken und Herausforderungen Unsympathische Nutzer und mangelnde Erfahrung

Die Studie identifiziert auch Risiken, die das Vertrauen in Airbnb beeinflussen können. Ein Aspekt ist der Kontakt mit unsympathischen Anbietern oder Nutzern, die die Unterkunft beschädigen könnten. Die Aussage: „Weil es kommen schon viele zum Feiern auch und das wäre jetzt nicht so cool, wenn die hier (…) die Bude auseinander nehmen“ (M25) zeigt diese Sorge. Auch die mangelnde Erfahrung mit der Plattform, bedingt durch ihre relative Neuheit, wird als negativer Faktor genannt. Die Testpersonen betonen die Notwendigkeit einer einfachen und verständlichen Darstellung des Plattformprinzips auf der Webseite. Der kommerzielle Hintergrund von Airbnb, die Kosten für Anbieter und die Airbnb-Gebühr, wird ebenfalls kritisch gesehen. Einige Teilnehmer bewerten negativ, dass Anbieter die Plattform als Geschäft nutzen, insbesondere im Kontext der angespannten Wohnungsmarktsituation in einigen Städten. Diese Aspekte verdeutlichen die komplexen Vertrauensfaktoren, die über rein technische Aspekte hinausgehen.

III.Vertrauensfaktoren auf Airbnb Quantitative Ergebnisse

Die quantitative Analyse bestätigte die Bedeutung der im qualitativen Teil identifizierten Faktoren. Servicegrad und Systemqualität erwiesen sich als signifikant für das Vertrauen der Nutzer. Bei Nicht-Nutzern spielt die Reputation von Airbnb eine besonders wichtige Rolle. Die Informationsqualität, also die Personae der Nutzer, hat einen weniger starken Einfluss als erwartet. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Nutzer mehr Vertrauen in das Unternehmen Airbnb als in die einzelnen Anbieter setzen.

1. Methoden der quantitativen Analyse

Zur Überprüfung der Zusammenhänge zwischen den im qualitativen Teil identifizierten Faktoren und dem Vertrauen in Airbnb wurden sowohl Korrelationsberechnungen als auch Regressionsanalysen durchgeführt. Die Korrelationsberechnung, mithilfe des Produkt-Moment-Korrelationskoeffizienten (r) nach Pearson, misst die Stärke eines linearen Zusammenhangs zwischen zwei Variablen. Ein Wert von +1 bedeutet einen sehr starken positiven, -1 einen sehr starken negativen Zusammenhang. Werte nahe 0 zeigen keinen oder nur einen sehr schwachen Zusammenhang an. Die Interpretation der Ergebnisse erfolgte anhand der Orientierungswerte von Cohen (1988), der schwache, mittlere und starke Zusammenhänge definiert. Die Regressionsanalyse wurde im Anschluss durchgeführt, um die Richtung eines möglichen kausalen Zusammenhangs zu bestimmen. Getrennt wurden die Hypothesen für Nutzer und Nicht-Nutzer von Airbnb geprüft.

2. Ergebnisse für Nutzer und Nicht Nutzer von Airbnb

Die Datenanalyse ergab für Nutzer von Airbnb signifikante Zusammenhänge zwischen Systemqualität und Servicegrad einerseits und dem Vertrauen andererseits. Der Servicegrad hatte dabei den stärksten Einfluss auf das Vertrauen. Dies deutet auf die Bedeutung einer gut funktionierenden Webseite mit einfacher und intuitiver Bedienung hin, aber noch stärker auf einen guten Kundenservice, der von der Beantwortung von Fragen bis zur Problemlösung reicht. Bei potenziellen Nutzern (Nicht-Nutzern) hingegen hatte die Reputation von Airbnb den signifikantesten Einfluss auf das Vertrauen. Diese Ergebnisse unterstreichen die unterschiedliche Gewichtung von Vertrauensfaktoren bei bestehenden und potenziellen Nutzern der Plattform. Für Nicht-Nutzer ist die allgemeine Einschätzung des Unternehmens Airbnb wichtiger, während für Nutzer die konkrete Erfahrung mit dem Service im Vordergrund steht.

3. Vergleich mit bestehenden Studien und Limitationen

Die qualitativen Ergebnisse dieser Studie decken sich weitgehend mit den Ergebnissen von Katie Finley (2013) und einer Studie der Technischen Universität Berlin (2015). Alle Studien bestätigen die Bedeutung wahrgenommener Risiken für Nutzer. Im Gegensatz zu der Studie der TU Berlin, die sich auf die Profilinformationen als Vertrauensfaktor konzentriert, betonen Finley und diese Studie die Bedeutung der wahrgenommenen Vertrauenswürdigkeit von Airbnb als Unternehmen. Der Servicegrad hat einen stärkeren Einfluss als die reine Informations- oder Systemqualität, wobei dieser Effekt bei Nutzern stärker ausgeprägt ist als bei potenziellen Nutzern. Die Studie weist auf methodische Limitationen hin, wie die kleine Fallzahl (sechs Interviews) im qualitativen Teil, was die Generalisierbarkeit der Ergebnisse einschränkt. Die Länge und Komplexität des Fragebogens im quantitativen Teil führten bei einigen Teilnehmern zu Verständnisschwierigkeiten, was in zukünftigen Studien verbessert werden sollte. Trotz dieser Einschränkungen liefert die Studie wertvolle Erkenntnisse über die Faktoren, die das Vertrauen in Airbnb beeinflussen.

IV.Schlussfolgerungen und methodische Überlegungen

Die Studie zeigt, dass Vertrauen in Airbnb von verschiedenen Faktoren abhängt. Die Reputation des Unternehmens, ein guter Servicegrad, und die Qualität der Plattform spielen eine entscheidende Rolle. Die Ergebnisse decken sich weitgehend mit früheren Studien (Finley 2013, TU Berlin 2015). Die relativ geringe Fallzahl (sechs Interviews) schränkt die Generalisierbarkeit der Ergebnisse ein, jedoch ist die qualitative Repräsentation der Daten gewährleistet. Zukünftige Forschung könnte die Stichprobengröße erhöhen und die methodischen Einschränkungen adressieren.

1. Zusammenfassung der zentralen Ergebnisse

Die Studie bestätigt die Bedeutung von Vertrauen für die Nutzung von Plattformen der Sharing Economy wie Airbnb. Es wurde ein Untersuchungsmodell entwickelt, welches verschiedene Einflussfaktoren auf das Vertrauen beinhaltet. Das Vertrauensmodell von Kim et al. (2004) diente als Grundlage und wurde um weitere, aus der qualitativen Forschung abgeleitete Faktoren erweitert. Diese Faktoren umfassen das Geschäftsmodell, Bewertungen, Kommunikation und Risiken. Ein Mixed-Methods-Ansatz mit qualitativer und quantitativer Forschung wurde verwendet. Die sieben aus der qualitativen Forschung entstandenen Überkategorien wurden in das quantitative Modell integriert und auf ihre Wirkzusammenhänge geprüft. Die Ergebnisse zeigen signifikante Wirkbeziehungen zwischen Systemqualität und Servicegrad sowie dem Vertrauen, wobei der Servicegrad den stärksten Einfluss hat. Eine gut funktionierende und intuitive Webseite sowie ein umfassender Kundenservice sind demnach besonders wichtig.

2. Vergleich mit anderen Studien und Interpretation der Ergebnisse

Die qualitativen Ergebnisse stimmen weitgehend mit den Ergebnissen von Finley (2013) und der TU Berlin (2015) überein, besonders in Bezug auf die wahrgenommenen Risiken. Während die Studie der TU Berlin sich auf Profilinformationen konzentriert, zeigen Finley und diese Studie die größere Bedeutung der wahrgenommenen Vertrauenswürdigkeit von Airbnb als Unternehmen. Der Servicegrad erweist sich als deutlich wichtiger Einflussfaktor als die Informations- oder Systemqualität, besonders für Nutzer mit Erfahrung. Für potentielle Nutzer ist die Reputation von Airbnb entscheidender. Die Informationsqualität und die „Personae“ der Nutzer haben einen geringeren Einfluss als erwartet. Die Nutzer priorisieren das Unternehmen Airbnb als Rahmengeber des Sharing-Prozesses, was eine Verschiebung vom ursprünglichen Mensch-zu-Mensch-Vertrauen hin zu einem stärker unternehmenszentrierten Vertrauensmodell darstellt.

3. Methodische Einschränkungen und Ausblick

Die Rekrutierung der Probanden erwies sich als schwierig und langwierig, was zu einer Verzögerung der Studie führte. Die kleine Fallzahl (sechs Probanden) im qualitativen Teil schränkt die Generalisierbarkeit der Ergebnisse ein, obwohl die inhaltliche Repräsentation gewährleistet wurde. Eine mögliche Verbesserung wäre die Durchführung einer exemplarischen Buchung mit Nicht-Nutzern, um deren Vertrauen im Nutzungskontext zu erfassen. Die Länge und Komplexität des Fragebogens im quantitativen Teil führten zu Verständnisproblemen bei einigen Teilnehmern, trotz eines vorherigen Pretests. Hier könnte ein größerer Pretest in zukünftigen Studien Abhilfe schaffen. Die Studie betont, dass das Ziel qualitativer Forschung die qualitative, nicht die statistische Repräsentativität ist. Trotz methodischer Einschränkungen ermöglicht die Kombination aus qualitativer und quantitativer Forschung generalisierbare Schlussfolgerungen über die Vertrauensfaktoren bei Airbnb.