Astrogeodätische Lotabweichungen zur Validierung von Schwerefeldmodellen

Astrogeodätische Lotabweichungen: Schwerefeldvalidierung

Dokumentinformationen

Autor

Christian Voigt

instructor/editor Prof. Dr.-Ing. Jakob Flury
school/university Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover
subject/major Bauingenieurwesen und Geodäsie
Dokumenttyp Dissertation
city_where_the_document_was_published München
Sprache German
Format | PDF
Größe 13.55 MB

Zusammenfassung

I.Genauigkeit der astrogeodätischen Lotabweichungen und Vergleich mit gravimetrischen Modellen

Die Studie untersucht die Genauigkeit von astrogeodätischen Lotabweichungen, ermittelt mit dem Zenitkamerasystem TZK2-D. Durch Vergleiche mit gravimetrischen Lotabweichungen aus dem hochauflösenden Quasigeoidmodell EGG2008 wird eine Genauigkeit von 0,08″ nachgewiesen. Vergleiche mit globalen Potentialmodellen wie EGM2008 und GOCE-Modellen zeigen Genauigkeiten von 0,18″ bis 0,40″ für EGM2008 und 0,20″ (bis 100km Auflösung) für die GOCE-Modelle der dritten Generation. RMS-Differenzen zwischen Höhenanomalien aus astronomisch-topographischen Nivellements und GPS-Nivellementdaten betragen 1,2 cm bis 2,9 cm in Deutschland. Die Analyse langwelliger Differenzen stellt eine komplexe Aufgabe dar, wobei die astrogeodätischen Quasigeoidlösungen wertvolle zusätzliche Erkenntnisse liefern.

1. Genauigkeitsbestimmung der astrogeodätischen Lotabweichungen mittels EGG2008

Ein zentraler Aspekt der Arbeit ist die Bestimmung der Genauigkeit der astrogeodätischen Lotabweichungen. Durch einen Vergleich der mittels des Zenitkamerasystems TZK2-D ermittelten astrogeodätischen Lotabweichungen mit den gravimetrischen Lotabweichungen aus dem hochauflösenden Quasigeoidmodell EGG2008 konnte die angegebene Genauigkeit der astrogeodätischen Lotabweichungen von 0,08″ verifiziert werden. Dieser Vergleich bildet die Grundlage für die weitere Genauigkeitsanalyse und dient als Referenz für die nachfolgenden Untersuchungen. Die präzise Bestimmung der Lotabweichungen ist entscheidend für die Genauigkeit der daraus abgeleiteten Quasigeoidhöhen und bildet den Kern der durchgeführten Forschung. Die Verwendung des EGG2008-Modells als Referenz unterstreicht die Bedeutung hochpräziser Quasigeoidmodelle für die Geodäsie und die Validierung neuer Messmethoden. Die erreichte Genauigkeit von 0,08″ stellt einen wichtigen Beitrag zum Stand der Forschung dar und ermöglicht die genauere Analyse weiterer gravimetrischer Daten.

2. Empirische Genauigkeitsschätzung globaler Potentialmodelle EGM2008 GOCE

Die Studie geht über die Validierung der eigenen Messungen hinaus und untersucht die Genauigkeit von Lotabweichungen, die aus globalen Potentialmodellen abgeleitet werden. Durch den Vergleich mit den hochpräzisen astrogeodätischen Lotabweichungen konnten empirische Schätzwerte für die Genauigkeit der Lotabweichungen aus den globalen Potentialmodellen EGM2008 und aktuellen GOCE-Modellen der dritten Generation gewonnen werden. Für das ultrahochauflösende Modell EGM2008 ergaben sich Schätzwerte zwischen 0,18″ und 0,40″. Die aktuellen GOCE-Modelle der dritten Generation erreichen eine Genauigkeit von 0,20″ bis zu einer räumlichen Auflösung von 100 km. Diese Ergebnisse korrelieren mit den jeweiligen Genauigkeitsabschätzungen der Modelle selbst. Der Vergleich unterstreicht die Bedeutung der unabhängigen Validierung globaler Modelle mithilfe von hochpräzisen terrestrischen Messungen. Die Ergebnisse tragen zum besseren Verständnis der Leistungsfähigkeit verschiedener gravimetrischer Modelle bei und liefern wichtige Informationen für zukünftige Anwendungen.

3. Analyse von Höhenanomalien und RMS Differenzen in Deutschland

Ein weiterer wichtiger Aspekt der Studie ist die Analyse der Höhenanomalien. Vergleiche zwischen Höhenanomalien aus astronomisch-topographischen Nivellements und GPS-Nivellementdaten sowie hochauflösenden gravimetrischen Quasigeoidmodellen in Deutschland ergaben RMS-Differenzen im Bereich von 1,2 cm bis 2,9 cm. Die Interpretation dieser Differenzen ist jedoch komplex. Kurzwellige Differenzen konnten den ellipsoidischen Höhen der GPS-Nivellementdaten zugeschrieben werden. Langwellige Differenzen im Bereich weniger Zentimeter über mehrere 100 km hingegen erfordern eine detailliertere Analyse, da sie Unsicherheiten in allen beteiligten Datensätzen widerspiegeln können. Die astrogeodätischen Quasigeoidlösungen liefern hier wertvolle zusätzliche Informationen zur Klärung der komplexen Zusammenhänge. Die Ergebnisse unterstreichen die Notwendigkeit einer ganzheitlichen Betrachtung aller Datenquellen und Fehlerquellen bei der Erstellung hochpräziser Quasigeoidmodelle. Die regionale Betrachtung der Ergebnisse in Deutschland ermöglicht gezielte Verbesserungen der Modellierung.

II.Datenerhebung und Messverfahren Astronomisches Nivellement mit dem TZK2 D

Zwischen 2006 und 2010 wurde ein einzigartiger Datensatz von astrogeodätischen Lotabweichungen entlang zweier Profile (jeweils ca. 600 km lang) mit dem Zenitkamerasystem TZK2-D erhoben (394 Stationen, Abstand ca. 3-4 km). Die Daten wurden mittels astronomischen Nivellements in Quasigeoidhöhen umgerechnet. Um eine Zielgenauigkeit von 1 cm/100 km zu erreichen, wurden systematische Abweichungen in der astrogeodätischen Schwerefeldmodellierung umfassend untersucht, insbesondere die Berücksichtigung von Bezugssystemen und zeitlichen Variationen der Beobachtungen.

1. Datenerhebung mit dem Zenitkamerasystem TZK2 D

Für die unabhängige Validierung von Schwerefelddaten wurde zwischen 2006 und 2010 ein umfangreicher Datensatz astrogeodätischer Lotabweichungen mithilfe des Zenitkamerasystems TZK2-D erhoben. Entlang zweier Profile von jeweils ca. 600 km Länge in Nord-Süd- und West-Ost-Richtung wurden an insgesamt 394 Stationen im durchschnittlichen Abstand von 3-4 km Messungen durchgeführt. Dieser Datensatz zeichnet sich durch seine bisher einzigartige Kombination aus Genauigkeit, Ausdehnung und Auflösung aus. Die Wahl des Stationsabstands von durchschnittlich 3-4 km stellt einen Kompromiss zwischen gewünschter Genauigkeit und wirtschaftlicher Machbarkeit dar. Eine höhere Stationsdichte, wie beispielsweise im Estergebirge mit einem Abstand von ca. 200m, ist zwar möglich, aber für die Gesamtlänge der Profile von 600km nicht praktikabel. Die Daten des TZK2-D bilden die Grundlage für die spätere Quasigeoidbestimmung und den Vergleich mit anderen gravimetrischen Datenquellen. Die große Anzahl an Messpunkten und die Ausdehnung der Profile ermöglichen eine umfassende Analyse der regionalen Schwerefeldvariationen.

2. Astronomisch topographisches Nivellement und Zielgenauigkeit

Die ermittelten Lotabweichungen wurden mittels astronomisch-topographischem Nivellement in Quasigeoidhöhen umgewandelt. Dieses Verfahren ist für die linienhafte Quasigeoidbestimmung besonders geeignet, da ausschließlich Beobachtungen entlang des zu bestimmenden Profils notwendig sind. Die enge Verknüpfung zwischen Genauigkeit, Ausdehnung und Auflösung des Verfahrens wird betont. Die Zielgenauigkeit der Quasigeoidbestimmung wurde auf 1 cm/100 km RMS festgelegt. Um diese Genauigkeit zu erreichen, waren umfassende Untersuchungen zu systematischen Abweichungen in der astrogeodätischen Schwerefeldmodellierung unerlässlich. Diese Untersuchungen umfassten insbesondere die Berücksichtigung der zugrundeliegenden Bezugssysteme und die Analyse zeitlicher Variationen der Beobachtungen. Die exakte Formulierung der Bildungsvorschriften und die Abschätzung der üblichen Approximationen waren zentrale Bestandteile dieser Analysen. Die Erreichung der Zielgenauigkeit hängt direkt von der Berücksichtigung und Minimierung dieser systematischen Fehler ab.

3. Einflussfaktoren auf die Genauigkeit und der optimale Stationsabstand

Die Genauigkeit der mit dem Zenitkamerasystem ermittelten astrogeodätischen Lotabweichungen wird mit 0,08″ angegeben. Allerdings existieren nur wenige unabhängige Vergleiche zur Bestimmung der Genauigkeit. Die vorliegende Arbeit liefert einen umfassenden Vergleich mit Lotabweichungen aus gravimetrischen Quasigeoidmodellen. Die Auflösung, also der Abstand der Beobachtungsstationen, stellt einen entscheidenden Parameter dar, der die Genauigkeit beeinflusst. Aus wirtschaftlichen Gründen kann die Auflösung nicht beliebig erhöht werden. Eine Genauigkeit von 1 cm/100 km RMS wird angestrebt. Unter der Annahme unkorrelierter Beobachtungen wird diese Genauigkeit mit 16 Stationsbeobachtungen im Abstand von 6-7 km erreicht. Eine empirische Untersuchung in den Alpen legt jedoch einen geringeren Stationsabstand von 2-3 km nahe, was die Herausforderungen in hochvariablen Gebieten unterstreicht. Die Bestimmung des optimalen Stationsabstands ist somit ein wichtiger Faktor für die Effizienz und Genauigkeit des gesamten Messverfahrens.

III.Stand der Forschung und verwendete Technologien

Die geodätische Astronomie hat durch CCD-Technologie Fortschritte gemacht. Das TZK2-D und DIADEM sind die einzigen Zenitkamerasysteme mit dem angegebenen Genauigkeitspotenzial (0,08″ für Mittelwert aus 50 Einzelbestimmungen). Weitere Systeme wie ICARUS und DAEDALUS (ETH Zürich) sowie MAAS-1 (VUT Brno) erreichen geringere Genauigkeiten (0,2-0,3″). Das astronomische Nivellement, zur Überführung von Lotabweichungen in (Quasi-)Geoidhöhen, wurde erweitert zum astronomisch-gravimetrischen und astronomisch-topographischen Nivellement. Die Studie konzentriert sich auf die unabhängige Validierung mittels astrogeodätischer Lotabweichungen.

1. Fortschritte in der Geodätischen Astronomie durch CCD Technologie

Der Abschnitt beschreibt den Fortschritt der geodätischen Astronomie durch die Einführung der CCD-Technologie zu Beginn der 2000er Jahre. Die Entwicklung der digitalen, transportablen Zenitkamerasysteme TZK2-D und DIADEM aus den analogen Vorgängersystemen TZK2 und TZK3 wird hervorgehoben. Die enge Kooperation zwischen dem IfE und dem Geodäsie und Geodynamik Labor (GGL) der ETH Zürich bei der Entwicklung dieser Systeme wird erwähnt. Die Weiterentwicklung am IfE bis hin zu einem vollautomatisierten Messablauf wird ebenfalls beschrieben, wobei die Arbeiten von Hirt (2004) und Hirt und Seeber (2008) sowie Somieski (2008) als Quellen genannt werden. Die erreichte Genauigkeit der astrogeodätischen Lotabweichungen von 0,08″ (Mittelwert aus 50 Einzelbestimmungen über 20 Minuten) und das Potential für Steigerungen auf bis zu 0,05″ bei längeren Beobachtungszeiten werden betont. Der Vergleich mit internationalen Entwicklungen zeigt, dass TZK2-D und DIADEM derzeit die einzigen Systeme mit diesem Genauigkeitspotenzial sind.

2. Vergleichbare Systeme und alternative Messmethoden

Der Abschnitt setzt sich mit vergleichbaren Zenitkamerasystemen und alternativen Methoden zur Bestimmung astronomischer Koordinaten auseinander. Es werden Entwicklungen in Polen (AGH Krakau, Kudrys, 2009), Österreich (TU Wien, Gerstbach und Pichler, 2003), und der Türkei (Boğaziçi Üniversitesi Istanbul, Halicioglu et al., 2011) erwähnt, die jedoch bisher keine zufriedenstellenden Ergebnisse liefern. Als Alternative zu Zenitkamerasystemen werden Aufsatzsysteme für Totalstationen beschrieben, die einen CCD-Sensor, einen GPS-Empfänger und astronomische Auswertesoftware verwenden. Beispiele hierfür sind ICARUS und DAEDALUS (ETH Zürich) sowie MAAS-1 (VUT Brno). Diese Systeme weisen zwar ein geringeres Genauigkeitsniveau (0,2-0,3″) auf, zeichnen sich aber durch geringere Kosten und einfachere Handhabung aus, was eine breitere Anwendung begünstigen könnte. Dieser Vergleich verdeutlicht die Stärken und Schwächen verschiedener Technologien im Bereich der präzisen astronomischen Messungen.

3. Astronomisches Nivellement und dessen Erweiterungen

Der Abschnitt beschreibt das astronomische Nivellement als Verfahren zur linienhaften (Quasi-)Geoidbestimmung aus astrogeodätischen Lotabweichungen. Der Übergang von Lotabweichungen zu (Quasi-)Geoidhöhen wird detailliert erklärt. Die Methode, die bereits von Helmert (1901) eingeführt wurde, wurde im Laufe der Zeit erweitert. Das astronomisch-gravimetrische Nivellement (Molodenskii et al., 1962; Campbell, 1971) integriert gravimetrische Beobachtungen, während das astronomisch-topographische Nivellement topographische Lotabweichungen aus Geländemodellen nutzt. Boedecker (1976) kombinierte beide Ansätze zum astrogravimetrisch-topographischen Nivellement. Die Interpolationsgenauigkeit wird diskutiert, wobei Untersuchungen von Heitz (1968), Elmiger (1969), und Bosch und Wolf (1974) zitiert werden. Die Studie verzichtet jedoch auf die Interpolation mit gravimetrischen Lotabweichungen, um die Unabhängigkeit der astronomischen Quasigeoidbestimmung zu gewährleisten. Der Abschnitt zeigt die historische Entwicklung und die verschiedenen Varianten des astronomischen Nivellements auf.

IV.Globale Potentialmodelle GPM digitale Geländemodelle DGM und GPS Daten

Globale Potentialmodelle (GPM), abgeleitet aus Satellitenbeobachtungen (GOCE, GRACE, CHAMP, SLR), werden zur Bestimmung des langwelligen Anteils des Schwerefeldes verwendet. Die Studie analysiert verschiedene GPM-Generationen (GOCE DIR, TIM, SPW) und Modelle wie EGM2008, ITG-Grace2010s, und GOCO. Digitale Geländemodelle (DGM) werden zur Berücksichtigung topographischer Massen eingesetzt. GPS-Nivellementdaten liefern unabhängige Höheninformationen, wobei Inhomogenitäten und Spannungen in den Daten, insbesondere an Landesgrenzen, berücksichtigt werden. Das German Combined QuasiGeoid 2011 (GCG2011) dient als aktuelle Höhenbezugsfläche.

1. Globale Potentialmodelle GPM zur Bestimmung des langwelligen Schwerefeldes

Der langwellige Anteil des Schwerefeldes wird mithilfe von Satellitenmissionen und der sphärisch-harmonischen Analyse bestimmt, woraus globale Potentialmodelle (GPM) entstehen. Diese Modelle, basierend auf Daten von Missionen wie GOCE, GRACE, CHAMP und SLR, werden mittels Kugelfunktionsentwicklungen berechnet. Die Studie verwendet verschiedene aktuelle statische GPM, darunter drei Generationen von GOCE-Modellen (DIR, TIM, SPW) aus dem High-level Processing Facility (HPF) Projekt (Pail et al., 2011). Aufgrund der GOCE-Bahninklination existieren Datenlücken in polaren Gebieten, die durch die Einbeziehung von Vorabinformationen (z.B. aus GRACE-Modellen) oder Kaula-Regularisierung behoben werden. Kombinationsmodelle wie GOCO (Gravity Observation Combination), EIGEN-6S, DIR3 und EIGEN-6C, die zusätzlich terrestrische und altimetrische Daten verwenden, werden ebenfalls berücksichtigt. Zum Vergleich werden das GRACE-Modell ITG-Grace2010s und das hochauflösende Kombinationsmodell EGM2008 herangezogen. Die Wahl der Modelle und die Berücksichtigung der jeweiligen Referenzepochen sind für die Genauigkeit der Ergebnisse entscheidend.

2. Digitale Geländemodelle DGM und deren Einfluss auf die Schwerefeldmodellierung

Die gravitativen Einflüsse topographischer Massen werden mithilfe von digitalen Geländemodellen (DGM) berechnet und in die astrogeodätische Schwerefeldbestimmung integriert. Im astronomisch-topographischen Nivellement werden die vollständigen topographischen Effekte zur Verbesserung der Interpolationsgenauigkeit berücksichtigt. Bei der Kollokation nach kleinsten Quadraten innerhalb einer Remove-Compute-Restore-Prozedur (RCR-Prozedur) werden die Effekte eines residualen Geländemodells (RTM) berechnet, welches sich auf eine mittlere geglättete Referenztopographie bezieht und nur die kurzwelligen Anteile der Topographie enthält. Die räumliche Auflösung der Referenztopographie variiert je nach verwendetem GPM (ca. 50km für GPM mit n_max = 360, 40°x60° für aktuelle GOCE-GGM mit n_max = 250). Die Berechnung der Referenztopographie erfolgt entweder durch gleitende Mittelwertbildung mit Tiefpassfilterung oder über eine Kugelfunktionsentwicklung. Die korrekte Berücksichtigung der DGM ist essentiell für die Genauigkeit der Schwerefeldmodellierung, insbesondere im Hinblick auf die Reduktion von kurzwelligen Effekten.

3. GPS Nivellementdaten und die Höhenbezugsfläche GCG2011

GPS-Nivellementdaten dienen als unabhängige Datenquelle zur Validierung der Ergebnisse. Der Abschnitt beschreibt die Entwicklung des GPS-Nivellementdatensatzes in Deutschland, mit Herausforderungen aufgrund unterschiedlicher Beobachtungs- und Auswertestrategien und Spannungen im DREF91 (Deutsches Referenzrahmen 1991) (Liebsch et al., 2006; Beckers et al., 2005). Eine Diagnoseausgleichung am BKG (Bundesamt für Kartographie und Geodäsie) im Jahr 2002 führte zu einem verbesserten, spannungsfreien SAPOS-Netz. Differenzen von bis zu 7 cm in der Höhe zwischen den SAPOS-Koordinaten vor und nach der Ausgleichung wurden festgestellt (Görres und Nothnagel, 2012). Der GPS-Nivellementdatensatz von 2005 (894 Punkte) und 2011 (954 Punkte) werden beschrieben, wobei die Kompatibilität zur SAPOS-Realisierung des ETRS89 und dem DHHN92 (Deutsches Hauptdreiecksnetz 1992) hervorgehoben wird. Die aktuelle Höhenbezugsfläche, das German Combined QuasiGeoid 2011 (GCG2011), basierend auf Punktmassenausgleichung und Kollokation am BKG und IfE (Institut für Erdmessung), löst das GCG05 ab. Die Genauigkeit der Höhenanomalien im GCG2011 wird mit 1-2 cm angegeben (Alpen 3-4 cm, Meeresbereich 4-10 cm).

V.Erdgezeiten Atmosphärische Effekte und ihre Modellierung

Die Studie berücksichtigt Erdgezeiten und atmosphärische Effekte in der Schwerefeldmodellierung. Erdgezeiten werden mit Loveschen Zahlen und Shidascher Zahl modelliert, während ozeanische Auflasteffekte aufgrund geringer Amplituden vernachlässigt werden. Atmosphärische Effekte werden mittels ellipsoidischer oder sphärischer Schalenmodelle modelliert. Regionale Verfeinerungen der atmosphärischen Korrekturen werden diskutiert, insbesondere im Hinblick auf zukünftige, hochgenaue Schwerefeldbestimmungen.

1. Modellierung von Erdgezeiten

Die Modellierung von Erdgezeiten ist aufgrund der Elastizität der Erde von Bedeutung. Direkte Deformationen der Erdkruste durch die Gravitation von Himmelskörpern erzeugen ein zusätzliches Deformationspotential. Diese indirekten Effekte sind proportional zum direkten Effekt und werden mit den Loveschen Zahlen (h, k) und der Shidaschen Zahl (l) modelliert (Torge, 2003). Die Loveschen Zahlen, berechnet nach Wahr (1981a) und Dehant (1987) für ein bestimmtes Erdmodell (PREM, Dziewonski und Anderson, 1981; Zschau und Wang, 1987), werden als Neigungsfaktoren (tilt factors) auf die Gezeitenneigungen einer starren Erde angewendet (Melchior, 1966; Lambert, 1940). Die Berücksichtigung der Erdgezeiten ist für hochgenaue Messungen essentiell, da sie die Lotrichtung beeinflussen. Im Kontext dieser Arbeit werden die Winkel zwischen der aktuellen Lotrichtung und der Normalen zur Erdoberfläche betrachtet, wobei die entsprechenden Neigungsfaktoren (γ_nm) den elastischen Effekt der Erdgezeiten repräsentieren.

2. Berücksichtigung ozeanischer Auflasteffekte

Die Modellierung geht von einer ozeanlosen Erde aus, obwohl in der Realität ozeanische Gezeiten durch die Gravitation von Mond, Sonne und Planeten entstehen. Die Umverteilung von Wassermassen verursacht (halb)tägliche Variationen des Ozeangezeitenpotentials (Deformationspotential), was Deformationen des Meeresbodens und der Küstenregion zur Folge hat. Dieser ozeanische Auflasteffekt (ocean tidal loading) kombiniert das Deformationspotential der Wassermassen mit den Deformationen der Erdkruste (Jentzsch, 1997). Die Berechnung erfolgt üblicherweise mit Greenschen Funktionen und Ozeangezeitenmodellen wie CSR3.0 (Eanes und Bettadpur, 1995). Ozeanische Auflasteffekte können bis zu 100% und mehr des Erdgezeitensignals betragen (Torge, 2003), wobei die Amplituden in Küstennähe deutlich größer sind als im kontinentalen Bereich. Für Mitteleuropa liegen die Neigungen aufgrund ozeanischer Auflasteffekte unterhalb von 2 mas und werden in dieser Arbeit aufgrund ihrer geringen Amplitude vernachlässigt.

3. Modellierung atmosphärischer Effekte

Atmosphärische Massen beeinflussen das Schwerefeld und müssen bei der Schwerefeldbestimmung mit Genauigkeiten von ±25-30 cm und besser berücksichtigt werden (Anderson et al., 1975; Rummel und Rapp, 1976). Die Modellierung erfolgt näherungsweise mit ellipsoidischen oder sphärischen Schalenmodellen in Abhängigkeit von der Höhe (Ecker und Mittermayer, 1969; Moritz, 1980). Es ist zu beachten, dass die Gesamtmasse der Atmosphäre bereits im Normalschwerepotential GRS80 enthalten ist (harmonischer Anteil). Die Korrekturen beziehen sich daher auf den nichtharmonischen Anteil, die Wirkung der oberhalb des Messpunktes liegenden atmosphärischen Massen. Korrekturwerte für Schwereanomalien sind von der IAG vertafelt (Moritz, 2000). Die Studie diskutiert auch den Einfluss der Topographie auf die Modellierung atmosphärischer Effekte, wobei die Verwendung globaler und regionaler digitaler Geländemodelle (Nahavandchi, 2004) sowie die Auswirkungen unterschiedlicher Schwerekorrektionen (Anderson et al., 1975; Rummel und Rapp, 1976; Sj¨oberg und Nahavandchi, 2000) berücksichtigt werden.

VI.Regionale astrogeodätische Quasigeoidbestimmung Analysen und Ergebnisse

Die regionale astrogeodätische Quasigeoidbestimmung erfolgte entlang von Nord-Süd- und West-Ost-Profilen. Simulationsberechnungen wurden durchgeführt, um den Einfluss des Stationsabstandes auf die Genauigkeit des astronomischen Nivellements zu untersuchen. Vergleiche mit GPS-Nivellementdaten (2003, 2005, 2011) und gravimetrischen Quasigeoidmodellen (GCG05, GCG2011, EGG2008) zeigen RMS-Differenzen im Bereich von einigen Zentimetern. Langwellige Differenzen werden analysiert und mit den astrogeodätischen Kombinationslösungen und globalen Potentialmodellen in Verbindung gebracht. Die Ergebnisse zeigen, dass die Zielgenauigkeit von 1 cm/100km RMS weitgehend erreicht wird, obwohl regionale Besonderheiten wie das Nördlinger Ries zusätzliche Untersuchungen erfordern.

1. Regionale Quasigeoidbestimmung entlang von Profilen

Die regionale astrogeodätische Quasigeoidbestimmung erfolgte entlang von zwei Profilen mit einer Länge von jeweils ca. 600 km, eines in Nord-Süd- und eines in West-Ost-Richtung. Diese Profile wurden so geplant, dass sie in der Nähe von vorhandenen GPS-Nivellementpunkten verlaufen, um eine spätere Validierung der Ergebnisse zu ermöglichen. Die Auswahl der Profilführung erfolgte unter Berücksichtigung der zu untersuchenden Fragestellungen, wie der Evaluierung von GOCE-Modellen und der Klärung langwelliger Differenzen zwischen GPS-Nivellementdaten und gravimetrischen Quasigeoidmodellen. Der durchschnittliche Stationsabstand von 3-4 km wurde auf Basis von a-priori Genauigkeitsabschätzungen festgelegt, um die Zielgenauigkeit von 1 cm/100 km RMS zu erreichen. Im Laufe der Datenerhebung zwischen 2006 und 2010 wurden verschiedene Profilvarianten (NS 1.0, WO 1.0, NS 1.1, NS 2.0, WO 2.0) gemessen, um die Genauigkeit und die Robustheit des Verfahrens zu testen. Dabei wurden auch vorhandene lokale Profile im Harz und im Estergebirge integriert.

2. Simulationsrechnungen zur Bestimmung des optimalen Stationsabstands

Um den Einfluss des Stationsabstands auf die Genauigkeit und Effizienz des Verfahrens zu untersuchen, wurden Simulationsrechnungen durchgeführt. Diese basierten auf EGM2008/RTM-Lotabweichungen mit einer Standardabweichung von σ_ξ,η = 0,08″. Drei verschiedene Regionen – Lüneburger Heide (Flachland), Harz (Mittelgebirge) und Alpen (Hochgebirge) – wurden für die Simulationen ausgewählt, um den Einfluss der Topographie zu berücksichtigen. Die Ergebnisse zeigen, dass der benötigte Stationsabstand von der Topographie abhängt: Im Flachland ist ein Abstand von ca. 3,5 km ausreichend, während im Mittelgebirge 1,5 km und im Hochgebirge 1,0 km notwendig sind, um die Zielgenauigkeit von 1 cm/100 km RMS zu erreichen. Bei größeren Stationsabständen treten insbesondere im Hochgebirge signifikante RMS-Differenzen auf. Diese Simulationsergebnisse dienten als Grundlage für die Planung der Messkampagnen.

3. Vergleich der Ergebnisse mit GPS Nivellementdaten und gravimetrischen Modellen

Die Genauigkeit der regionalen astrogeodätischen Quasigeoidlösung wurde durch Vergleiche mit verschiedenen Datenquellen evaluiert. Vergleiche mit GPS-Nivellementdaten (2003, 2005, 2011) und den gravimetrischen Quasigeoidmodellen GCG05, GCG2011 und EGG2008 zeigten RMS-Differenzen im Zentimeterbereich. Kurzwellige Differenzen wurden auf die Genauigkeit und Inhomogenitäten der ellipsoidischen Höhen der GPS-Daten, insbesondere an Landesgrenzen, zurückgeführt. Langwellige Differenzen im Bereich weniger Zentimeter über mehrere 100 km wurden detailliert analysiert. Der Vergleich mit den Geodätischen Grundnetzpunkten (GGP) 2012 aus der DHHN-Erneuerung zeigte die größte Konsistenz, wobei die Zielgenauigkeit von 1 cm RMS zumindest entlang der Profile nahezu erreicht wurde. Ausnahmen bilden Abschnitte mit komplexen geologischen Strukturen wie das Nördlinger Ries, wo Differenzen von bis zu 4 cm über 150 km auftreten. Die Ergebnisse zeigen die erreichte hohe Genauigkeit der astrogeodätischen Lösung, besonders im kurzwelligen Bereich.

VII.Datenverarbeitung und Qualitätskontrolle des Zenitkamerasystems TZK2 D

Die Studie beschreibt die Datenverarbeitung des Zenitkamerasystems TZK2-D, inklusive Bildverarbeitung, Sternidentifikation (UCAC3, Tycho-2), und Korrekturen für systematische Abweichungen (z.B. Refraktion, Erdrotation). Die Genauigkeit der astronomischen Koordinaten wird detailliert analysiert, wobei die Auswirkungen von Faktoren wie Belichtungszeit, Sternkataloge, und anomale Refraktionseffekte untersucht werden. Beobachtungen auf der astronomischen Referenzstation in Hannover dienen der Qualitätskontrolle und zur Überprüfung der Systemstabilität.

1. Aufbau und Funktionsweise des Zenitkamerasystems TZK2 D

Das Zenitkamerasystem TZK2-D, basierend auf dem Vorgängermodell TZK2 (Wissel, 1982), nutzt eine CCD-Kamera (Apogee KX2E mit Kodak KAF1602E Sensor) für die automatisierte und genaue Erfassung des Sternfeldes. Der entscheidende Fortschritt gegenüber analogen Systemen liegt in der Automatisierung, Effizienz und Genauigkeit der fotografischen Sternfeldmessung. Die CCD-Kamera ermöglicht die Abbildung von Sternen bis zu einer Magnitude von 13-14. Der kleine Ausschnitt des Gesichtsfeldes (0,8° x 0,5°) minimiert Verzeichnungen. Die Belichtungszeit ist entscheidend für das Signal-Rausch-Verhältnis, wobei längere Belichtungszeiten aufgrund der Erdrotation begrenzt sind (optimale Belichtungszeit 0,4s für Sterne mit Magnitude 13-14). Die Exzentrizität des CCD-Sensors wird durch Zweilagenmessung kompensiert. Die hohe Pixeldichte (1536 x 1024 Pixel) und die Verwendung geeigneter Algorithmen der digitalen Bildverarbeitung erhöhen die Genauigkeit der Bildkoordinatenmessung. Das System beinhaltet einen GPS-Empfänger zur präzisen Bestimmung des Beobachtungszeitpunktes.

2. Datenverarbeitung Sterndetektion extraktion und Sternkataloge

Die Datenverarbeitung umfasst die Sterndetektion und -extraktion aus den aufgenommenen Bildern. Zenitnahe Sterne werden als Regionen heller Pixel identifiziert und mit einem Bereichswachstumsverfahren (region growing) segmentiert. Die Sternextraktion erfolgt mittels einer zweidimensionalen Gaußfunktion, die an das Sternsegment angepasst wird. Die Parameter der Gaußfunktion werden durch eine Ausgleichung nach kleinsten Quadraten geschätzt. Für die Sternidentifikation werden die Sternkataloge Tycho-2 und UCAC3 verwendet. Die Verwendung von UCAC3 (Zacharias et al., 2010), anstatt der früheren Vorabversion, eliminiert systematische Abweichungen von 20-30 mas, die durch die Vernachlässigung von Eigenbewegungen entstanden sind. UCAC3 bietet eine umfassende Himmelsabdeckung mit über 100 Millionen Sternen und ermöglicht präzisere Koordinatenbestimmungen. Die Wahl der Sternkataloge und die Berücksichtigung der Eigenbewegungen sind kritisch für die Genauigkeit der Ergebnisse.

3. Systematische und zufällige Fehlerquellen und Qualitätskontrolle

Systematische Fehlerquellen, wie die Exzentrizität des CCD-Sensors (durch Zweilagenmessung minimiert) und Refraktionseffekte (radialsymmetrische Effekte werden kompensiert, anomale Refraktionseffekte verbleiben), werden diskutiert. Anomale Refraktionseffekte (Zenitrefraktion) mit Amplituden von 0,05-0,2″ (Hirt, 2006) stellen ein Problem dar, welches die Genauigkeit der astronomischen Koordinaten beeinflusst. Zufällige Abweichungen entstehen bei der Bildkoordinatenmessung (0,2-0,4″ für ein Sternzentrum) und der Bestimmung des effektiven Belichtungszeitpunktes (Standardabweichung 0,8-1,0 ms, entsprechend 12-15 mas in der astronomischen Länge). Die jährliche Parallaxe wird aufgrund der großen Entfernung der Sterne vernachlässigt. Qualitätskontrollen wurden durch wiederholte Messungen auf der astronomischen Referenzstation in Hannover durchgeführt (29 Beobachtungen in 16 Nächten), die die Systemstabilität über den Beobachtungszeitraum 2006-2010 bestätigten (Standardabweichungen von 0,04″ bzw. 0,06-0,07″). Die Ergebnisse der Qualitätskontrolle unterstreichen die hohe Präzision des Systems.