Zwischen allen Stühlen? Migrationserfahrungen in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur

Migrantenliteratur: Mehrwert interkultureller Schreibweisen

Dokumentinformationen

Autor

Andreas Teubler

Schule

HdM Stuttgart

Fachrichtung Bibliotheks- und Informationsmanagement
Dokumenttyp Bachelor-Arbeit
Sprache German
Format | PDF
Größe 372.73 KB

Zusammenfassung

I.Die Entstehung der Migrantenliteratur in Deutschland

Der Text untersucht die Entwicklung der polykulturellen Literaturlandschaft in Deutschland, insbesondere die Entstehung der Migrantenliteratur (auch Ausländerliteratur genannt). Er beleuchtet die Vorgeschichte im 19. und frühen 20. Jahrhundert, indem er Autoren wie Adelbert von Chamisso, Franz Kafka und Elias Canetti als Beispiele für eine immer präsente kulturelle Vielschichtigkeit in der deutschen Literatur nennt. Die massive Arbeitsmigration ab den 1950er Jahren, zunächst als „Gastarbeiter“-Migration bezeichnet, führte zur Entstehung der „Gastarbeiterliteratur“, einer wertvollen Innenansicht der Migration. Die zunehmende Sprachkompetenz der Migranten führte zu Vernetzung und der Herausbildung einer eigenen literarischen Szene, die in den späten 1980er Jahren ihre Emanzipation erlebte und zunehmend in der Öffentlichkeit wahrgenommen wurde. Werke von Autor*innen mit Migrationshintergrund finden sich regelmäßig auf Bestsellerlisten und werden für wichtige Literaturpreise wie den Ingeborg-Bachmann-Preis, den Deutschen Buchpreis und den Nelly-Sachs-Preis nominiert.

1. Frühe Migrantenliteratur und die Entstehung der Gastarbeiterliteratur

Der Text beginnt mit der Beschreibung der Entstehung von Literatur unter Migranten in Deutschland. Zunächst unbemerkt, beginnt die literarische Produktion in den Sprachen der Herkunftsländer und entwickelt sich bald auch auf Deutsch. Diese 'Gastarbeiterliteratur' bietet einen wertvollen Einblick in die Arbeitsmigration aus der Perspektive der Betroffenen. Es wird hervorgehoben, dass die Literatur nicht nur aus dem Nichts entstand, sondern als Reaktion auf die gesellschaftliche Situation der Migranten und aus ihren konkreten Lebenserfahrungen heraus. Der Text betont den Wert dieser Literatur als historische Dokumentation und zeigt, wie sie die Arbeitsmigration aus einer Innenperspektive beleuchtet. Wichtig ist die Aussage, dass die 'Gastarbeiterliteratur' eine authentische und wertvolle Quelle darstellt, um die Erfahrungen der Migranten zu verstehen.

2. Entwicklung und Emanzipation der Migrantenliteratur

Mit verbesserten Deutschkenntnissen der Migranten entsteht eine Vernetzung und eine eigene, lebendige Diskussionskultur innerhalb der Szene. Die wachsende Selbstreflexion und der Austausch unter den Migranten tragen zur Entwicklung einer eigenständigen Identität der Migrantenliteratur bei. Der Text beschreibt die zunehmende Emanzipation der Migrantenliteratur in den späten 1980er Jahren, als sie mehr Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit erlangt. Einzelne Autor*innen werden zu Vorreitern und prägen die heutige Literaturlandschaft in Deutschland. Die Anerkennung der Leistungen der Migrantenliteratur zeigt sich in der Präsenz von Titeln auf den Bestsellerlisten und den regelmäßigen Nominierungen für renommierte Literaturpreise wie den Ingeborg-Bachmann-Preis, den Deutschen Buchpreis und den Nelly-Sachs-Preis. Dies unterstreicht den wachsenden Einfluss und die Anerkennung der Migrantenliteratur im deutschen Kontext. Es ist deutlich zu erkennen, dass dies kein spontaner Prozess war, sondern ein Ergebnis intensiver Diskussionen und gemeinsamer Gestaltungsbemühungen der Beteiligten.

3. Historischer Kontext und frühe Beispiele kultureller Vielfalt in der deutschen Literatur

Der Text beleuchtet die Vorgeschichte der Migrantenliteratur, indem er auf die kulturelle Vielschichtigkeit in der neueren deutschen Literatur hinweist. Autoren wie Adelbert von Chamisso, Franz Kafka und Elias Canetti werden als Beispiele für eine schon immer vorhandene interkulturelle Dimension in der deutschen Literatur genannt. Michael Hofmann's Interpretationen werden erwähnt, die interkulturelle Konstellationen in allen wichtigen Epochen der deutschen Literaturgeschichte als entscheidend hervorheben. Die Untersuchung vermeintlich monokultureller Literatur auf interkulturelle Bezüge hin unterstreicht die Kontinuität dieses Phänomens. Oskar Maria Graf wird als Beispiel genannt, dessen Exil-Werk 'Leben meiner Mutter' seine Erfahrungen und den Mangel an Heimatgefühl reflektiert und durch die detaillierte Schilderung des ländlichen Bayerns im 19. Jahrhundert einen tiefen Einblick in die damalige Zeit bietet. Dieser Teil des Textes verdeutlicht den langen und komplexen Prozess der Auseinandersetzung mit Migration und kultureller Vielfalt in der deutschen Literatur, der weit über den Zeitraum der 'Gastarbeiterliteratur' hinausreicht.

4. Der Einfluss des Gastarbeiter Konzepts und die PoLiKunst Bewegung

Ein wichtiger Aspekt der Entstehung der Migrantenliteratur ist die anfängliche Bezeichnung der Arbeitsmigranten als 'Gastarbeiter'. Diese Bezeichnung, die eine temporäre und unproblematische Arbeitsmigration suggerierte, wird als naiv und arrogant kritisiert. Max Frischs Zitat 'Man hat Arbeitskräfte gerufen, und es kommen Menschen' wird in diesem Zusammenhang zitiert, um die Komplexität der Situation zu verdeutlichen. Die Gründung des Polynationalen Literatur- und Kunstvereins (PoLiKunst) durch Franco Biondi, Gino Chiellino, Rafik Schami, Jusuf Naoum und andere wird als bedeutender Schritt zur Organisation und Vernetzung der Migrantenliteratur hervorgehoben. Die PoLiKunst-Bewegung, die ihre Texte in der Reihe 'Südwind Gastarbeiterdeutsch' publizierte, setzte sich für die Verbesserung der Lebensbedingungen der Gastarbeiter ein und betonte den politischen Aspekt der Literatur. Der Fokus lag auf der Politisierung vor der Ästhetik, ein Ansatz der Zeit der 1960er und 70er Jahre. Die Entwicklung zeigt deutlich, wie die literarische Produktion als Medium gesellschaftlicher und politischer Veränderung eingesetzt werden kann. Der Text unterstreicht die Bedeutung von kollektivem Handeln und gemeinsamer Reflexion für die Entwicklung der Migrantenliteratur.

II.Sprachliche Herausforderungen und Schreibweisen in der Migrantenliteratur

Ein zentrales Thema ist der Umgang mit Sprache. Autor*innen beschreiben die Herausforderungen des Schreibens in Deutsch als Zweitsprache, die von der strengen Reglementierung der deutschen Sprache bis zur Suche nach adäquaten Ausdrücken für Bedeutungsinhalte reicht, die im Deutschen nicht existieren. Der Text diskutiert die „Utopie eines vielsprachigen Textes“ und die Problematik der Übersetzung, wobei die Vielstimmigkeit und die kreative Aneignung der deutschen Sprache als Kennzeichen der Migrantenliteratur hervorgehoben werden. Der Prozess der Aneignung der deutschen Sprache wird als ein Wechselspiel zwischen Anpassung und Emanzipation beschrieben, wo die Sprache letztlich als Instrument zur Darstellung der eigenen Identität und Erfahrung genutzt wird.

1. Die Utopie des vielsprachigen Textes und die Herausforderungen der Übersetzung

Der Text thematisiert die Schwierigkeit, in der Literatur die eigenen mehrsprachigen Erfahrungen adäquat auszudrücken. Ilma Rakusa formuliert die 'Utopie eines vielsprachigen Textes', räumt aber gleichzeitig ein, dass ein solcher Text die meisten Leser überfordern würde. Die Herausforderung besteht darin, dass jede Sprache ihre eigenen Grenzen in der Darstellung von Bedeutungen hat, insbesondere wenn es um Nuancen und Konzepte geht, die in einer Sprache keine genaue Entsprechung finden. Oskar Pastior wird zitiert, der das Problem des Übersetzens als unlösbar betrachtet, indem er die Sprachen in sich als 'inkompatibel gemengt, Wasser und Fett, eine Art Emulsion, bis zur Verseifung' beschreibt. José F. A. Oliver hingegen sieht in der parallelen Wahrnehmung zweier Sprachen eine Möglichkeit, Dinge aus verschiedenen Perspektiven zu erleben und 'das Zerbrechliche' zu schaffen. Für ihn ist jedes Übersetzen auch Neusprache. Dieser Abschnitt illustriert die komplexen sprachlichen Herausforderungen für Autor*innen mit Migrationshintergrund, die zwischen verschiedenen Sprachen und Kulturen vermitteln wollen.

2. Deutsch als Zweitsprache Reglementierung und Einfluss auf den Schreibstil

Der Text beleuchtet die spezifischen Herausforderungen, die die deutsche Sprache für Autor*innen darstellt, die sie als Zweitsprache erlernen. Jefferson S. Chase beschreibt die deutsche Sprache als 'sehr reglementiert', nicht nur in Bezug auf die Grammatik, sondern auch auf die gesellschaftliche Auffassung von 'richtigem' und 'falschem' Deutsch. Catalin Dorian Florescu betont den Einfluss des Rumänischen auf seinen Stil, das 'überbordend' und voller Metaphern sei, im Gegensatz zum Deutschen, das ihn zu mehr Nüchternheit zwinge. Ilma Rakusa, die mehrere Sprachen beherrscht, fasst zusammen: 'Jede Sprache bedeutet eine eigene Welt'. Der Text zeigt somit, wie die Wahl der Sprache und deren spezifische Charakteristika den Schreibstil und die literarische Gestaltung maßgeblich beeinflussen können. Die Autorin beschreibt den Prozess des Schreibens in einer neuen Sprache als ein 'Zähmen' der Sprache und das gleichzeitige 'Zähmen' durch die Sprache. Der Text unterstreicht die Notwendigkeit einer flexiblen Herangehensweise sowohl vonseiten des Autors als auch der Sprache, um einen gelungenen Schreibprozess zu gewährleisten.

3. Sprachliche Aneignung als Prozess der Emanzipation und Identitätsfindung

Die Aneignung der deutschen Sprache durch Migrant*innen wird als ein Prozess der Emanzipation dargestellt. Der Text beschreibt zwei Phasen: In der ersten bemüht sich der Autor um Anpassung an die deutsche Sprache. In der zweiten Phase emanzipiert er sich, indem er die Sprache seinen Bedürfnissen anpasst und seine eigene Identität widerspiegelt. Es geht darum, die Sprache zu verändern, um den eigenen Weg und die eigene Identität auszudrücken, und letztendlich die Sprache so zu prägen, dass man ihr den Einfluss der eigenen Herkunft und Erfahrung anmerkt. Dieser Prozess wird als ein Moment der Ermächtigung und Ekstase beschrieben. Der Abschnitt verdeutlicht, wie die Sprache nicht nur ein Mittel der Kommunikation ist, sondern auch ein Instrument der Selbstfindung und der Gestaltung der eigenen Identität im Kontext der Migration. Die Aneignung der Sprache ist somit untrennbar mit der Entwicklung einer eigenen Stimme und einer einzigartigen literarischen Perspektive verbunden.

4. Unterschiedliche Schreibstrategien Strukturalismus und Intarsie

Der Text vergleicht zwei verschiedene Schreibstrategien von Autorinnen mit Migrationshintergrund. Tzveta Sofronieva beschreibt das Schreiben auf Deutsch als 'Herausforderung und Zähmen', einen Prozess des langsamen und bewussten Annäherns an die neue Sprache. Ilma Rakusa hingegen verwendet einen strukturalistischen Ansatz, den sie als 'Intarsie' beschreibt: Das Muster der Fremdkörper, dazu gehören Zitate und Anspielungen, ergibt einen Text im Text. Sie vergleicht ihre Werke mit einem Palimpsest, in dem Fragmente unterschiedlicher Literaturen –vorzugsweise der russischen Literatur – verfremdet und neu zusammengesetzt werden. Der Text zeigt somit auf, wie die Autorinnen verschiedene literarische Techniken und Ansätze kreativ nutzen, um ihre mehrsprachigen und interkulturellen Erfahrungen in ihren Werken zu gestalten. Die Vielfalt der Ansätze unterstreicht die Dynamik und Innovationskraft der Migrantenliteratur. Die Bezugnahme auf literaturwissenschaftliche Theorien wie die Intertextualität von Michail Bachtin und Julia Kristevas Konzept des intertextuellen Mosaiks erweitert den analytischen Blick auf die Entstehung und Rezeption der Migrantenliteratur.

III.Autobiographisches Erzählen und die Migrationserfahrung

Der Text analysiert autobiographische Erzählungen von Migrant*innen und deren Einfluss auf die deutsche Literatur. Die Autorinnen Lale Akgün (Tante Semra im Leberkäseland) und Hatice Akyün (Einmal Hans mit scharfer Soße) werden als Beispiele für die Auseinandersetzung mit der eigenen Migrationserfahrung und der Darstellung des Lebens zwischen zwei Kulturen genannt. Akgün schildert die Ankunft ihrer Familie in Deutschland und den Konflikt zwischen den türkischen Traditionen und der deutschen Gesellschaft. Akyün hingegen fokussiert auf die Vielschichtigkeit ihrer türkisch-deutschen Identität und lehnt eine Reduktion auf einen Teil ihrer kulturellen Zugehörigkeit ab. Der Text betont, dass diese autobiografischen Erzählungen nicht nur persönliche Geschichten erzählen, sondern auch wichtige Beiträge zur Auseinandersetzung mit Themen wie Integration, Identität und der polykulturellen Literaturlandschaft leisten. Das Motiv der Entwurzelung und der Suche nach Identität in einer neuen Heimat wird als zentrales Thema hervorgehoben.

1. Entwicklung eines neuen Genres Autobiographisches Erzählen und Migrationserfahrung

Der Abschnitt beschreibt die Entwicklung eines neuen Genres in der deutschen Literatur: autobiographisches Erzählen im Kontext der Migrationserfahrung. Es wird hervorgehoben, dass Autorinnen mit Migrationshintergrund von Anfang an einen hohen ästhetischen Mehrwert oder eine sozialpolitische Programmatik verfolgten, da sie sonst in der Nische der Migrantenliteratur keine Chance gehabt hätten. Später wurden die Romane einer neuen Generation von Autorinnen wie Emine Sevgi Özdamar, Feridun Zaimoğlu oder Ilija Trojanow zu großen Erfolgen. Die Chamisso-Literatur wird als Marke für qualitativ hochwertige und innovative Literatur erwähnt, die ein anspruchsvolles Publikum anspricht. Der Abschnitt betont den langen Weg des Themas Migration durch die deutsche Literaturlandschaft und den Wandel von einer eher marginalisierten 'Migrantenliteratur' hin zu einem anerkannten und erfolgreichen Teil der allgemeinen Literatur. Es wird der Übergang von der 'Gastarbeiterliteratur' zu einer differenzierteren und vielstimmigeren Darstellung von Migrationserfahrungen skizziert. Die Entwicklung eines neuen Genres wird hier als ein Prozess der zunehmenden Anerkennung und des Eintritts in den literarischen Mainstream verstanden.

2. Lale Akgün Tante Semra im Leberkäseland

Lale Akgüns Buch 'Tante Semra im Leberkäseland' wird als Beispiel für autobiographisches Erzählen analysiert. Akgün erzählt primär von ihrer eigenen Familie und schildert ausführlich die ersten Jahre nach der Ankunft in Deutschland. Der Fokus liegt auf der Darstellung der Familie und ihrer Anpassung an die deutsche Gesellschaft. Der Untertitel 'Mein Leben zwischen Minarett und Dom' wird als irreführend kritisiert, da die Familie aus Istanbul einen eher säkularen Hintergrund hat. Akgün beschreibt die Spannungen zwischen türkischen Traditionen und der deutschen Gesellschaft, sowie die Herausforderungen der Integration, wobei sie auch Klischees thematisiert und auf humorvolle Weise widerlegt. Der Vater wird als lebensfroher, toleranter Mensch dargestellt, die Mutter als eine eher konservative und strenge Person. Der Text analysiert den Stil Akgüns, in dem sie extreme Charaktere und Situationen nutzt, um Klischees zu entlarven und ein versöhnliches Bild zu schaffen. Akgüns Absicht, mit Vorurteilen aufzuräumen, und ihre positive Darstellung ihrer Familie im Spannungsfeld zwischen zwei Kulturen wird hervorgehoben.

3. Hatice Akyün Einmal Hans mit scharfer Soße

Hatice Akyün, Jahrgang 1969, wuchs in Duisburg auf und ihr autobiographisches Werk 'Einmal Hans mit scharfer Soße' wird im Kontext der Migrationserfahrung diskutiert. Im Gegensatz zu Lale Akgüns bürgerlichem Hintergrund stammt Akyüns Familie aus einfachen Verhältnissen und ist in der Türkei Analphabet gewesen. Der Text skizziert Akyüns Lebensweg, der von der Hauptschule bis zum Journalismus führte. Ihre Expertisen über Frauen in muslimischen Ländern und ihre journalistischen Arbeiten werden erwähnt, um einen umfassenderen Kontext zu ihrem literarischen Schaffen zu geben. Ihr Buch wird als Darstellung des Lebens zwischen zwei Welten beschrieben. Ihr Blog 'Neulich in der Parallelwelt' und die Nominierung für den Grimme-Online-Award 2009 werden ebenfalls berücksichtigt. Der Text hebt Akyüns offene und kritische Auseinandersetzung mit Klischees und ihre Weigerung hervor, sich für einen Teil ihrer kulturellen Identität zu entschuldigen. Ihre Integration wird im Kontext ihrer vielschichtigen Identität diskutiert. Der Vergleich mit Lale Akgüns Werk zeigt, wie unterschiedlich Migrationserfahrungen literarisch dargestellt werden können.

IV.Romananalysen Beispiele für Migrationsliteratur

Der Text analysiert verschiedene Romane, die sich mit dem Thema Migration auseinandersetzen. Er beschreibt die Erzählweisen und die Thematik der jeweiligen Werke. Beispielsweise wird Saša Stanišićs Roman erwähnt, in dem verschiedene Erzählformen und Perspektivwechsel verwendet werden, um die Migrationserfahrung des Protagonisten darzustellen. Ein weiterer Roman beleuchtet die Geschichte zweier deutscher Schwestern, die mit ihrem bulgarischen Fahrer durch Bulgarien reisen. Die Reise wird dabei nicht nur als geografische Reise dargestellt, sondern als Metapher für die Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit und Identität. Hasan Kazans Roman zeigt schließlich die Lebensumstände von Migranten in London und deren Umgang mit der Mehrheitsgesellschaft. Die dargestellten Romane bieten diverse Einblicke in die vielfältigen Aspekte der Migrationsliteratur und ihrer Themen.

1. Saša Stanišić Multiperspektivischer Roman und das Bedürfnis nach Authentifizierung

Der Text analysiert Saša Stanišićs Roman, der nicht linear erzählt wird, sondern verschiedene Textsorten wie Briefe, Telefonate, Gedichte und Schulaufsätze collagiert und mit Perspektivwechseln spielt. Stanišić vergleicht sein Schreiben mit dem Legen eines Mosaiks. Der Ich-Erzähler Aleksandar dominiert, aber der Text enthält auch Erzählungen aus dem Umfeld des Protagonisten, um die Alltagswirklichkeit im kollabierenden Jugoslawien plastisch darzustellen. Ein zentrales Thema ist das Bedürfnis nach Authentifizierung des eigenen Lebens. Die Flucht nach Deutschland markiert für Aleksandar einen Kampf um das Erinnern. Die Familie hat durch die Flucht jeglichen Sinn für Rückschau verloren, im Gegensatz zu Aleksandars Großmutter, die nostalgische Erinnerungen an die Vergangenheit pflegt. Aleksandar versucht durch das Aufschreiben seiner Erinnerungen, die Realität zu rekonstruieren und das Vergessen zu bekämpfen. Der Roman ist kein einfacher Kindheitsbericht, sondern ein Versuch, Identität durch die Erfahrung der Migration und die Auseinandersetzung mit unfertigen Erinnerungen zu finden. Die Gefahr des Kitsches wird angesprochen, da die Darstellung von Festen und Krieg leicht missinterpretiert werden kann, der aufmerksame Leser erkennt aber von Anfang an die durch die Migration bestimmte Situation.

2. Apostoloff Migration als Spiegel persönlicher Konflikte

Im Roman 'Apostoloff' reisen zwei deutsche Schwestern durch Bulgarien, das Herkunftsland ihres Vaters. Der Text diskutiert, ob der Roman tatsächlich 'über Migration' handelt, und kommt zu dem Schluss, dass das Fremde in der eigenen Familie oder Person nicht an geographische Orte gebunden ist. Bulgarien dient als Projektionsfläche für persönliche Konflikte der Protagonistinnen. Der Fahrer und Dolmetscher Rumen Apostoloff fungiert als Schlüsselfigur, der als Katalysator für die Identitätsarbeit der Schwestern dient. Sein Name (Apostel) deutet seine Rolle als Vermittler an. Die ältere Schwester beginnt eine Affäre mit Apostoloff, die jüngere Schwester verarbeitet ihre Vergangenheit durch Distanz und eine Art 'Tunnelblick' - sie sucht nach dem Negativen, während die ältere Schwester erst am Ende des Romans zu einer Erkenntnis gelangt. Die Mutter der Schwestern ist eine vage, eindimensionale Figur, die erst durch den Beschreibung ihres Todes eine mehrschichtige Perspektive erhält. Das Nationaldenkmal '1300 Jahre Bulgarien' und das Haus eines alten Bekannten werden als Schauplätze beschrieben, die das Alteritätspotential und die persönlichen Konflikte der Erzählerin symbolisieren.

3. Hasan Kazan Migrationserfahrung in London und die neue Boheme

Der Roman um Hasan Kazan zeigt das Leben eines Ex-Politologiestudenten aus West-Berlin in London nach dem Mauerfall. Hasan versucht, sich in der neuen Umgebung eine Existenz aufzubauen und begegnet dabei verschiedenen Migrantengruppen. Im multikulturellen Stadtteil Harringay lernt er die Melancholie und die Konflikte innerhalb der Einwanderungsgesellschaft kennen, besonders deutlich am Beispiel der zypriotischen Community im 'Cafe Cyprus', wo der Konflikt zwischen griechischen und türkischen Zyprioten nach England getragen wird. Der Text beschreibt den Unterschied zwischen der Kommunikation unter Migranten und mit der einheimischen Bevölkerung, wobei die eigenen Unsicherheiten und Vorurteile der Migranten gegenüber der Mehrheitsgesellschaft deutlich werden. Hasan findet seine 'Wellenlänge' bei einer jungen Generation von Migranten in London, die sich als 'neue Boheme' begreift und die kulturelle Vielfalt als Bereicherung sieht. Sie hinterfragen bestehende Strukturen und sehen sich nicht als Gestrandete, sondern als Bereicherung der englischen Gesellschaft. Der Text beschreibt den gesellschaftlichen Automatismus der Skepsis der Einwanderer gegenüber der einheimischen Bevölkerung und die damit verbundenen Herausforderungen.