OPUS 4 | Das Familienbild im aktuellen deutschsprachigen Generationenroman

Generationenromane: Familienbilder im 21. Jahrhundert

Dokumentinformationen

Autor

Eva Lax

instructor Prof. Susanne Krüger
Schule

Hochschule der Medien Stuttgart

Fachrichtung Bibliotheks- und Informationsmanagement
Dokumenttyp Bachelorarbeit
Ort Stuttgart
Sprache German
Format | PDF
Größe 476.62 KB

Zusammenfassung

I.Analyse Zeitgenössischer Familienromane und Generationenromane

Diese Arbeit untersucht verschiedene Familienbilder in vier deutschsprachigen Gegenwartsliteratur-Generationenromanen (Familienromanen) von Tanja Dückers, John von Düffel, Arno Geiger und Michael Köhlmeier (erschienen 2004-2007). Im Fokus stehen die Beziehungen zwischen und innerhalb von Generationen, elterlicher Einfluss auf die Lebensentscheidungen der Kinder, die Rolle der deutschen Geschichte und wiederkehrende Motive in der Familiengeschichte. Besonders wird der Generationenkonflikt beleuchtet.

II.Der längste Tag des Jahres Tanja Dückers

Dückers' Generationenroman portraitiert die Familie Kadereit nach dem Tod des Vaters. Der Roman analysiert die Auswirkungen des Zweiten Weltkriegs auf die Familie und den Umgang mit der deutschen Vergangenheit. Die Kinder reagieren unterschiedlich auf den Tod des Vaters und die unbewältigte Familiengeschichte, was zu Missverständnissen und Konflikten führt. Der Roman zeigt ein komplexes Geflecht aus Familienbildern und Generationenkonflikt, mit dem Fokus auf der 'Realitätsflucht' als wiederkehrendes Motiv.

1. Tod des Vaters und anfängliche Reaktionen

Der Roman beginnt mit dem plötzlichen Tod des Familienvaters Paul Kadereit. Seine fünf Kinder – Sylvia, David, Johanna, Benjamin und Thomas – werden aus ihren Alltagssituationen gerissen und müssen mit dem Verlust zurechtkommen. Der Tod des Vaters wird als Auslöser für die Konfrontation mit ungelösten familiären Problemen und dem Umgang mit der Vergangenheit dargestellt. Die anfänglichen Reaktionen der Kinder variieren stark und zeigen die unterschiedlichen Beziehungen zum Vater und die individuellen Bewältigungsmechanismen. Die Beschreibung der Alltagssituationen, in denen die Kinder vom Tod des Vaters erfahren, unterstreicht die plötzliche und destabilisierende Wirkung dieses Ereignisses auf die Familie. Die Autorin verdeutlicht damit, wie ein scheinbar banaler Moment den Lauf des Lebens fundamental verändert und die Familie vor neue Herausforderungen stellt. Der Tod des Vaters ist nicht nur ein physisches Ereignis, sondern wird zum Katalysator für emotionale und psychologische Prozesse innerhalb der Familie.

2. Die Last der Vergangenheit Zweiter Weltkrieg und Nachkriegszeit

Ein zentrales Thema des Romans ist die Verarbeitung der Vergangenheit, insbesondere die Auswirkungen des Zweiten Weltkriegs und der Nachkriegszeit auf die Familie Kadereit. Der Roman deutet an, dass die Familie eine „psychische Narbe des Zweiten Weltkriegs“ trägt. Pauls Kindheit, die noch vom Nationalsozialismus geprägt war, wird als „große kulturelle Wasserscheide“ zwischen den Elterngeneration und den Kindern beschrieben. Die Kinder werfen dem Vater – und implizit auch der Elterngeneration – vor, sich nicht ausreichend von den Verbrechen des Nationalsozialismus distanziert zu haben. Dies führt zu unterschwelligen Auseinandersetzungen und Vorwürfen innerhalb der Familie. Die Autorin zeigt, wie die ungelöste Vergangenheit die Beziehungen zwischen den Generationen belastet und zu Missverständnissen und Konflikten führt. Das Thema wird subtil und indirekt behandelt, doch die unterschwelligen Spannungen zeigen die anhaltende Bedeutung der historischen Ereignisse für die Gegenwart. Der Roman zeigt, dass die Vergangenheit nicht einfach vergessen werden kann und ihr Einfluss auf die Familienbeziehungen nachhaltig ist.

3. Individuelle Bewältigungsstrategien und Charakterentwicklung

Die fünf Geschwister reagieren unterschiedlich auf den Tod des Vaters und die damit verbundenen familiären Probleme. Der Roman zeigt verschiedene Bewältigungsstrategien und Charakterentwicklungen. Thomas, zum Beispiel, flieht vor der Realität und dem Erbe des Vaters, sucht in der Ferne nach einem neuen Leben, um nur am Ende zu erkennen, wie sehr er sich doch nach seinem Vater sehnt. Sylvia, hingegen, scheint die Schuld an den familiären Missständen bei ihren Geschwistern zu suchen, anstatt die eigenen Anteile zu reflektieren. Johanna findet Halt und Stärke in ihrer Familie. Die unterschiedlichen Reaktionen verdeutlichen, dass die Verarbeitung von Verlust und die Auseinandersetzung mit der Familiengeschichte individuelle Prozesse sind. Die Autorin zeichnet ein vielschichtiges Bild von den Protagonisten, die trotz ihrer vermeintlichen Unterschiede doch Ähnlichkeiten und Gemeinsamkeiten aufweisen, die sich in prägnanten Eigenschaften zeigen. Der Roman lässt offen, ob die Familie den vermeintlichen „Verfall“ überwinden kann und ob ein Neuanfang möglich ist.

III.Houwelandt John von Düffel

Düffels Familienroman konzentriert sich auf die Familie de Houwelandt und deren Schweigen über die Vergangenheit, insbesondere die Kriegserfahrungen des Vaters Jorge. Das Schweigen führt zu Missverständnissen und einem Generationenkonflikt zwischen Jorge und seinem Sohn Thomas. Thomas' Kampf um Verständnis für seinen Sohn Christian steht im Zentrum, im Gegensatz zu Jorges starrer Persönlichkeit und mangelnder emotionaler Beteiligung. Das Thema des Generationenkonflikt wird durch die unterschiedlichen Erziehungsstile und den Umgang mit der Familiengeschichte verstärkt.

1. Familiäre Konstellation und der bevorstehende Geburtstag

Der Roman ‚Houwelandt‘ von John von Düffel beschreibt die Familie de Houwelandt anlässlich des bevorstehenden Geburtstages des Patriarchen. Die Geschichte konzentriert sich auf die schwierige Beziehung zwischen dem Vater Jorge und seinem Sohn Thomas. Thomas, der von seiner Mutter als Verwalter des Familiensitzes eingesetzt wurde, soll eine Rede zum Geburtstag seines Vaters verfassen. Diese Aufgabe dient als zentrale Handlungslinie, um die komplexen Familiendynamiken und den Generationenkonflikt zu beleuchten. Die Konstellation ist geprägt von Schweigen, Missverständnissen und mangelnder Kommunikation. Die Vorbereitung auf die Feier wird zum Schauplatz einer Konfrontation mit der Familiengeschichte und den ungelösten Konflikten der Vergangenheit. Die räumliche Enge in der Familienvilla unterstreicht die emotionalen Spannungen zwischen den Familienmitgliedern und den Druck, den Thomas verspürt. Das Schweigen des Vaters wird als zentrale Ursache der familiären Misere identifiziert.

2. Jorges Kindheit und Erziehungsstil die Wurzeln des Konflikts

Ein wesentlicher Aspekt des Romans ist die Darstellung von Jorges Kindheit und seinem daraus resultierenden Erziehungsstil. Durch extreme Strenge und ein „Züchtigungsverlangen“ versucht Jorge, seinem Sohn die Bedeutung des Schmerzes beizubringen. Diese Härte wurzelt in seinen eigenen negativen Kindheitserfahrungen, wie dem frühen Verlust seines Vaters und dem Aufenthalt in einer Klosterschule. Jorge, der offensichtlich zur letzten Kriegsgeneration gehört, schweigt über seine Vergangenheit, was seine emotionale Distanz zu seinen Kindern erklärt. Die Analyse seines Erziehungsstils verdeutlicht seinen Mangel an Liebe und seine Gleichsetzung von Sanftmut mit Schwäche. Dieser Mangel an emotionaler Verfügbarkeit und der autoritäre Umgang mit seinen Kindern bilden das Konfliktpotential und erklären die Distanz zu seinem Sohn Thomas. Jorges Suche nach einem Gleichgesinnten in Darío zeigt seinen Wunsch nach Anerkennung, der aber letztendlich egozentrisch geprägt ist und keine echte Nächstenliebe zum Ausdruck bringt.

3. Thomas Weg zum Verständnis und die offene Zukunft

Thomas, im Gegensatz zu seinem Vater, wirkt passiv und sucht nach Ausreden für seine Lebensumstände. Er wird als das „Opfer“ dargestellt. Der Roman beleuchtet jedoch auch Thomas' Entwicklung. Das Schreiben der Rede zum Geburtstag des Vaters wird zum Wendepunkt. Durch diesen Prozess erlangt Thomas eine neue Perspektive und erkennt die Notwendigkeit der Kommunikation und des Verständnisses für seinen Sohn Christian. Thomas kämpft nicht mehr gegen seinen Vater, sondern für seinen Sohn. Diese Versöhnung auf einer neuen Ebene und die Erkenntnis des Vaterschaftskonflikts stehen im Kontrast zu Jorges Schweigen und fehlendem Verständnis. Der Roman endet mit der offenen Frage nach dem Fortbestand der Familie de Houwelandt. Ob Christian, der Sohn von Thomas, die Familiendynamik durchbricht und eine neue, gesunde Familientradition begründet, bleibt offen. Diese offene Gestaltung symbolisiert die Möglichkeit der Veränderung und die Hoffnung auf ein besseres Verhältnis zwischen den Generationen.

IV.Es geht uns gut Arno Geiger

Geigers Familienroman zeichnet das Bild der Familie Sterk über mehrere Generationen. Der Roman zeigt den Zerfall der Familie durch mangelnde Kommunikation und die unbewältigte Vergangenheit. Die Beziehung zwischen Alma und Richard, sowie Ingrids Bemühungen um Emanzipation stehen im Vordergrund. Das Werk untersucht die Familienbilder und den Generationenkonflikt anhand der unterschiedlichen Lebenserfahrungen der Generationen, mit dem Fokus auf der Last der Familiengeschichte.

1. Generationsübergreifende Familiengeschichte der Sterks

Arno Geigers Roman 'Es geht uns gut' beleuchtet die Familiengeschichte der Sterks über mehrere Generationen hinweg. Der Fokus liegt auf den Beziehungen zwischen Großeltern (Alma und Richard), Eltern (Peter und Ingrid) und dem Enkel Philipp. Die Erzählung springt zwischen verschiedenen Zeitabschnitten hin und her, beginnend 1938 mit dem Anschluss Österreichs und reichend bis in die 1980er Jahre. Der Roman zeigt, wie die Geschichte und die Erfahrungen der Vorfahren das Leben der Nachkommen prägen, insbesondere Richards politische Haltung und sein Verhalten innerhalb der Familie. Die Demenz Richards in den späteren Jahren und der Zerfall der Familie stehen im Zentrum der Erzählung. Es werden verschiedene Konflikte und Missverständnisse innerhalb der Familie deutlich, die auf mangelnder Kommunikation und der Unaufarbeitung vergangener Ereignisse basieren. Die Chronologie des Romans ist nicht linear, die Rückblenden werden oft durch Kapitel aus Almas Perspektive unterbrochen, was die zentrale Rolle der Großmutter hervorhebt.

2. Alma und Richard Sterk ein kontrastierendes Paar

Die Großeltern Alma und Richard Sterk bilden ein kontrastierendes Paar. Alma, die aus einer ungezwungenen Kindheit stammt, ist optimistisch und lebensfroh. Richard hingegen ist durch seine strenge Erziehung und den Druck, sich während des Nationalsozialismus als Christdemokrat bedeckt zu halten, pessimistisch und starr in seinen Verhaltensweisen. Almas Opferbereitschaft für die Familie steht im Gegensatz zu Richards Affären und starrköpfigem Verhalten. Das Kapitel über Alma bildet den Rahmen der Geschichte und verdeutlicht, wie sie den Zerfall der Familie, der durch Richards Verhalten mit verursacht wurde, mit ansehen muss. Der Kontrast zwischen den beiden Großeltern verdeutlicht die unterschiedlichen Auswirkungen der Vergangenheit auf die Persönlichkeit und die Beziehungen. Die Autorin nutzt diesen Kontrast auch, um die Herausforderungen der damaligen Gesellschaft und die Rolle der Frauen darin zu beleuchten.

3. Ingrid die Tochter zwischen den Generationen und die Frage der Emanzipation

Ingrid, die Tochter von Alma und Richard, wird als Zwischenglied zwischen den Generationen dargestellt. Sie setzt den begonnenen Weg ihrer Mutter zur Emanzipation fort, kann ihn aber aufgrund der Überlastung durch Beruf, Familie und Ehemann nicht vollenden. Sie ringt mit der Vereinbarkeit von Beruf und Familie und der Erwartungshaltung, eine perfekte Ehefrau zu sein. Trotz ihres Studiums und ihrer erfolgreichen Karriere als Ärztin ist Ingrid den Anforderungen der Gesellschaft unterworfen. Der Roman hinterfragt, ob Ingrid den Schritt in eine unabhängige Zukunft hätte wagen können, bevor sie frühzeitig stirbt. Die Darstellung von Ingrids Leben verdeutlicht die Herausforderungen der Emanzipation in der Mitte des 20. Jahrhunderts. Sie zeigt, wie die gesellschaftlichen Normen und Erwartungen das Leben von Frauen beeinflussen und wie schwierig es ist, traditionelle Rollenmuster zu durchbrechen. Geigers Schilderung unterstreicht damit die anhaltende Bedeutung dieser Thematik für die Familiendynamik.

4. Philipp die jüngere Generation und das Erbe der Vergangenheit

Philipp, der Enkel der Sterks, verkörpert die jüngere Generation und zeigt Desinteresse an der Familiengeschichte und dem Weltgeschehen. Die Ereignisse der Gegenwart werden im Roman nur sparsam dargestellt, im Kontrast zu den detaillierten Rückblicken auf die Vergangenheit der Vorfahren. Geiger stellt Philipp als Vertreter einer Generation von politischer und gesellschaftlicher Passivität dar. Seine Versuche, das Erbe der Vergangenheit zu verarbeiten, werden durch die „Unentrinnbarkeit familiärer Prägungen“ erschwert. Philipp wird damit als Gegenpol zu seinen tatkräftigen Vorfahren gezeigt, was die Kontinuität und die Wiederholung bestimmter Muster in der Familiengeschichte verdeutlicht. Die Darstellung von Philipps Passivität kann als Metapher für gesellschaftliche Entwicklungen interpretiert werden. Der Roman zeigt, wie schwer es für junge Menschen sein kann, die Last der Vergangenheit zu tragen, ohne sich selbst darin zu verlieren. Die „absurde Folge von Kettenreaktionen“ als Beschreibung des Familienlebens verdeutlicht dabei das komplexe Zusammenspiel verschiedener Faktoren.

V.Abendland Michael Köhlmeier

Köhlmeiers Generationenroman präsentiert die facettenreiche Hauptfigur Carl Candoris, der die großen Ereignisse des 20. Jahrhunderts miterlebt. Der Roman untersucht die Unentrinnbarkeit familiärer Prägungen und den Einfluss der Vergangenheit auf die Gegenwart. Carl's Bemühen, seiner Familiengeschichte zu entkommen und der Generationenkonflikt mit seinem Sohn Sebastian stehen im Mittelpunkt. Der Roman zeigt einen Kontrast zwischen den Generationen und der Frage nach der Überwindung familiärer Zyklen.

1. Carl Candoris eine außergewöhnliche Hauptfigur

Michael Köhlmeiers Roman 'Abendland' zeichnet das Leben von Carl Jacob Candoris, einer vielschichtigen Hauptfigur, die als 'titanisch' und 'das Abendland in Person' beschrieben wird. Candoris' Leben erstreckt sich über das 20. Jahrhundert und er erlebt zahlreiche historische Ereignisse hautnah mit, wenn auch oft nur am Rande. Kritiker vergleichen ihn mit einem österreichischen Forest Gump aufgrund seiner Allgegenwärtigkeit in den großen Ereignissen des Jahrhunderts. Die Vielschichtigkeit seiner Persönlichkeit wird durch Beschreibungen als 'das Gute und das Böse', 'Verstand und Geld', 'Weltläufigkeit und Täterschaft' verdeutlicht. Candoris' Leben wird nicht vom Zufall bestimmt, sondern durch bewusste Entscheidungen geprägt. Die Unentrinnbarkeit familiärer Prägungen wird an seiner Bereitschaft, zum Mörder zu werden, deutlich – eine schmerzhafte Erfahrung, die ihn an seinen Großvater erinnert. Der Roman konzentriert sich jedoch nicht auf den 'Niedergang des Patriarchen', sondern zeigt Carlis Respekt einflößende Art bis zum Schluss.

2. Familiäre Prägungen und die Frage der Abstammung

Der Roman thematisiert die Unentrinnbarkeit familiärer Prägungen und den Einfluss der Vergangenheit auf die Gegenwart. Carl Candoris versucht, durch die bewusste Gestaltung seines Lebens und die Wahl seiner Familie, der Genealogie zu entfliehen. Trotzdem muss er die Folgen seines Erbes tragen. Sein Sohn Sebastian spürt die Zwänge und sich wiederholenden Muster der Familiengeschichte, ähnelt seinem Vater in seiner Zögerlichkeit, die Vaterschaft vollumfänglich zu übernehmen, und zeigt ähnliche suizidale Tendenzen. Köhlmeier zeigt damit den zyklischen Verlauf in familiärer Geschichte. Carl erlebt eine schmerzhafte Konfrontation mit seiner eigenen Vergangenheit und der Bereitschaft, zu mörderischen Handlungen zu fähig zu sein. Im Gegensatz zu anderen Romanfiguren gelingt es Carl jedoch, eine gewisse Flucht aus der familiären Genealogie zu vollziehen, indem er die Candoris-Sippe aussterben lässt und als Pate und Mäzen einer anderen Familie wirkt, frei von den genetischen Zwängen.

3. Sebastian die nächste Generation und die Weiterführung familiärer Muster

Sebastian, Carlis Sohn, wird als Einzelkind dargestellt, das früh erwachsen werden muss. Ähnlich wie Christian de Houwelandt in Düffels Roman, spürt er den Druck, Verantwortung für seine Familie zu übernehmen. Im Gegensatz zu Christian erhält Sebastian jedoch Unterstützung von außen durch Pateneltern, was ihn vor dem inneren Drang, dem familiären Druck zu entfliehen, bewahrt. Er widmet seine Arbeit seinem Sohn David, ähnlich wie Thomas in Düffels Roman Christian. Die Beziehung zwischen Sebastian und Carl und Sebastians Wunsch nach Margarida und Carl als Eltern verdeutlicht die Suche nach einer stabilen Familiensituation. Der Roman zeigt, wie sich familiale Muster und Konflikte über Generationen hinweg wiederholen können. Köhlmeiers Darstellung des Generationenwechsels endet mit Carlis Tod und der offenen Frage, ob die negativen familiären Muster von Sebastian weitergeführt werden. Die Entwicklung einer Mehrgenerationenfamilie hin zur allein erziehenden Mutter wird hier auch als eine Art von Verfall der Familientradition dargestellt.

4. Der eiserne Vater als zentrales Motiv und das Aussterben der Candoris Sippe

Ein zentrales Motiv im Roman ist der 'eiserne Vater' als männliches Herrschaftsprinzip. Dieses Motiv findet sich in allen vier analysierten Romanen wieder. Obwohl die Autorität der Väter in den Romanen immer wieder in Frage gestellt wird, wird sie nie offen untergraben. Köhlmeier lässt mit Carl die Sippe der Candoris aussterben, was als symbolisches Ende eines patriarchalen Modells interpretiert werden kann. Der Tod Carlis, einer gottähnlichen Figur, die nur an menschliche Taten glaubt, lässt gleichzeitig Raum für Hoffnung auf die kommenden Generationen. Der Roman lässt die Frage nach dem Nachfolger offen. Der Auslöser für den 'Verfall' der Familie ist hier auch das Schweigen und die mangelnde Kommunikation innerhalb der Familie. Der Roman zeigt die Ambivalenz des patriarchalen Familienmodells und die Herausforderungen, die sich für die nachfolgenden Generationen ergeben.

VI.Übergreifende Themen der Gegenwartsliteratur

Alle vier Romane zeigen die Bedeutung von Kommunikation und der Aufarbeitung der Vergangenheit für den Generationenkonflikt. Sie analysieren verschiedene Familienbilder und Erziehungsstile und beleuchten die Herausforderungen der Gegenwartsliteratur im Umgang mit familiärer Geschichte und den sich verändernden Werten in der Gesellschaft. Die Autoren untersuchen, wie die Vergangenheit die Gegenwart prägt und wie sich diese Dynamik auf die Beziehungen innerhalb der Familie auswirkt - zentrale Aspekte des Generationenromans.

1. Kommunikation und die Aufarbeitung der Vergangenheit

Ein übergreifendes Thema in den vier analysierten Romanen ist die Bedeutung von Kommunikation und der Aufarbeitung der Vergangenheit für ein gesundes Familienleben und die Bewältigung von Generationenkonflikten. In allen Romanen wird deutlich, wie mangelnde Kommunikation und das Ausblenden von Familiengeheimnissen zu Missverständnissen und Konflikten zwischen den Generationen führen. Das Schweigen über die Vergangenheit, insbesondere über die Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs, wirkt sich nachhaltig auf die Beziehungen innerhalb der Familien aus. Die Autoren zeigen, wie unausgesprochene Konflikte und Traumata über Generationen hinweg weitergegeben werden und die Lebensentwürfe der Nachkommen prägen. Die Analyse betont die Notwendigkeit von offenen und ehrlichen Gesprächen, um familiäre Konflikte zu lösen und ein besseres Verständnis zwischen den Generationen zu schaffen. Die unterschiedliche Art der Aufarbeitung der Vergangenheit durch die einzelnen Familien wird als ein wichtiger Aspekt des Generationenkonflikts dargestellt.

2. Verschiedene Familienbilder und Erziehungsstile

Die Romane präsentieren verschiedene Familienbilder und Erziehungsstile, die den Wandel gesellschaftlicher Werte und Normen widerspiegeln. Es werden sowohl strenge, autoritäre als auch liberale, verhandlungsorientierte Erziehungsstile gezeigt. Die Analyse untersucht, wie diese unterschiedlichen Ansätze die Entwicklung der Kinder und ihre Beziehungen zu den Eltern beeinflussen. Die Autoren beleuchten die Herausforderungen der Vereinbarkeit von Beruf und Familie und die damit verbundenen Konflikte innerhalb der Familien. Es wird gezeigt, wie sich traditionelle Rollenbilder auf die Beziehungen auswirken und wie schwierig es ist, diese Muster zu durchbrechen. Die unterschiedlichen Familienstrukturen – von der traditionellen Großfamilie bis zur Kleinfamilie – verdeutlichen die Veränderungen in der Gesellschaft und die damit verbundenen Herausforderungen für die Familie. Der Wandel von einem befehlenden zu einem verhandelnden Erziehungsverhalten von einer Generation zur nächsten wird besonders von Düffel und Geiger hervorgehoben.

3. Generationenkonflikt und die Unentrinnbarkeit familiärer Prägungen

Ein zentrales Thema in allen vier Romanen ist der Generationenkonflikt und die Unentrinnbarkeit familiärer Prägungen. Die Autoren zeigen, wie die Erfahrungen der Vorfahren das Leben der Nachkommen beeinflussen und zu wiederkehrenden Mustern in der Familiengeschichte führen. Die Verarbeitung der Vergangenheit und der Umgang mit den unausgesprochenen Konflikten spielt eine zentrale Rolle bei der Gestaltung der Beziehungen zwischen den Generationen. Die Analyse untersucht, wie die Romanfiguren versuchen, sich von den familiären Prägungen zu lösen und eigene Lebenswege zu beschreiten. Es wird jedoch deutlich, dass eine vollständige Befreiung von der Vergangenheit oft schwierig ist und die Figuren immer wieder mit den Folgen ihrer Familiengeschichte konfrontiert werden. Das Konzept der 'genealogischen Kette' wird verwendet, um die Kontinuität und die Wiederholung bestimmter Muster über Generationen hinweg zu verdeutlichen. Köhlmeier stellt dabei eine Ausnahme dar, indem er es einer Figur ermöglicht, der eigenen Genealogie halbwegs erfolgreich zu entfliehen.