
GNSS-Antennen: Codephasen-Variationen
Dokumentinformationen
Autor | Tobias Kersten |
Schule | Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover |
Fachrichtung | Bauingenieurwesen und Geodäsie |
Ort | München |
Dokumenttyp | Dissertation |
Sprache | German |
Format | |
Größe | 27.46 MB |
Zusammenfassung
I.Modellierung und Analyse von Codephasen Variationen GDV bei GNSS Antennen
Diese Arbeit untersucht die Codephasen-Variationen (GDV) bei GNSS-Antennen, die zu systematischen Fehlern in der Positionierung und Zeitübertragung führen. Der Fokus liegt auf der Modellierung und Schätzung der GDV mithilfe des Hannoverschen Verfahrens zur absoluten Antennenkalibrierung, welches bereits erfolgreich für die Kalibrierung von Trägerphasen-Variationen (PCV) eingesetzt wird. Die GDV werden mit sphärisch-harmonischen Funktionen modelliert und mittels der Methode der kleinsten Quadrate geschätzt. Die Arbeit analysiert die Schätzbarkeit der GDV und untersucht den Einfluss der GDV auf verschiedene Anwendungen, wie z.B. die statische Positionierung und die Precise Point Positioning (PPP).
1. Einleitung Der Bedarf an präzisen GNSS Messungen
Die Einleitung betont die zunehmende Bedeutung präziser und autonomer Georeferenzierung in der heutigen Gesellschaft. Positionierungs- und Navigationsverfahren sind essentiell in verschiedenen Bereichen wie öffentlicher Infrastruktur und Verkehr. Sicherheitskritische Anwendungen erfordern robuste und zertifizierte Signale, wobei Codephasen-Beobachtungen aufgrund ihrer Robustheit und Vermeidung von Mehrdeutigkeiten besonders relevant sind. Trotzdem spielten Codephasen-Beobachtungen in der Geodäsie bisher eine untergeordnete Rolle aufgrund hohen Rauschens und niedriger Auflösung im Vergleich zu Trägerphasen. Der Mangel an detaillierten Untersuchungen zum Sensorverhalten von GNSS-Antennen, insbesondere hinsichtlich der Auswirkungen auf Beobachtungs- und Koordinatenebene, wird als Forschungslücke hervorgehoben. Dies motiviert die vorliegende Arbeit, sich detailliert mit den Eigenschaften von GNSS-Antennen und den damit verbundenen Fehlern auseinanderzusetzen.
2. Modellierung der Codephasen Zentrum Abweichungen GDV
Dieser Abschnitt konzentriert sich auf die Modellierung und Analyse der Schätzbarkeit antennen-spezifischer Eigenschaften, insbesondere der konztellationsabhängigen Abweichungen des Codephasen-Zentrums (Codephasenverzögerungen – GDV). Diese GDV verursachen systematische Fehler und zusätzliche Benutzerfehler in der GNSS-Prozessierung. Es werden elektrotechnische Ursachen für GDV mit erheblichen Größenordnungen diskutiert. Ein Konzept zur Bestimmung und Schätzung der GDV wird vorgestellt, basierend auf dem international renommierten und standardisierten Hannoverschen Konzept der absoluten Antennenkalibrierung vom Institut für Erdmessung (IfE). Dieses Konzept, das bereits über ein Jahrzehnt zur Kalibrierung von Trägerphasen-Zentrum-Variationen (PCV) geodätischer Antennen (z.B. im International GNSS Service – IGS) verwendet wird, wird hier auf die Codephasen angewendet. Studien zeigen die wiederholbare Bestimmbarkeit von GDV und deren negative Auswirkungen auf Beobachtungen und geschätzte Parameter, abhängig vom Antennendesign.
3. Der Einfluss von Antenneneigenschaften auf GNSS Messungen
Dieser Abschnitt beleuchtet den Einfluss der GNSS-Empfangsantennen auf die aus GNSS-Messungen abgeleiteten Größen, die direkt von den Empfangseigenschaften der Träger- und Codephase abhängen. Die elektromagnetischen Eigenschaften der Antenne, beeinflusst von Antennendesign, Umgebung und Empfängern, sind entscheidend. Die Publikation von Antennenkalibrierwerten durch den IGS im ANTEX-Format (Version 1.4) wird erwähnt. Die Arbeit von Kunysz (1998) und weitere Studien (van Graas et al., 2004; Kim, 2005; Dong et al., 2006; Wirola et al., 2008) zu elevations- und azimutabhängigen Codephasen-Variationen werden zitiert, die die Navigation und code-basierte Zeitübertragung beeinflussen. Erste Ergebnisse von Codephasenvariationen (GDV) bei GNSS-Referenzstationsantennen von Wübbena et al. (2008) werden erwähnt, jedoch wird der Mangel an detaillierten Analysen dieser Modelle kritisiert. Die Arbeit präsentiert ein alternatives Verfahren zur GDV-Bestimmung und untersucht deren Einfluss auf die Mehrdeutigkeitsanalyse, insbesondere im Kontext der Melbourne-Wübbena-Linearkombination.
II.Einfluss von GDV auf die GNSS Positionierung und Zeitübertragung
Die Studie bewertet den Einfluss der GDV auf die Genauigkeit von codephasenbasierten Positionierungsverfahren. Im Kontext der statischen Positionierung (SPP) werden Verbesserungen von bis zu 1.7m durch die Berücksichtigung der GDV-Korrekturen gezeigt. Bei der differentiellen codebasierten Positionierung (DGPS) werden Verbesserungen in allen drei Koordinatenkomponenten (bis zu 1.7m in der Höhe) nachgewiesen. Für die PPP-basierte Zeitübertragung zeigen sich die Auswirkungen der GDV jedoch als vernachlässigbar, hauptsächlich aufgrund des geringeren Gewichts der Codephasenbeobachtungen im Kalman-Filter und der geringen GDV-Werte bei den verwendeten Antennen. Die Arbeit betont die Bedeutung der Berücksichtigung von individuellen Antennenmodellen für eine verbesserte Genauigkeit.
1. Einfluss von GDV auf die statische Positionierung SPP
Dieser Abschnitt untersucht den Einfluss von Group Delay Variations (GDV) auf die statische Positionierung mit Codephasenbeobachtungen (SPP). Durch die Berücksichtigung der GDV-Korrekturen konnten Verbesserungen der SPP-Lösung erreicht werden. Diese Verbesserungen wurden insbesondere bei einer Low-Cost-Antenne mit asymmetrischen GDV-Abweichungen deutlich. Die erzielten Verbesserungen betrugen bis zu 1.7m, vor allem in der Höhenkomponente. Die Ergebnisse zeigen, dass die Berücksichtigung kalibrierter GDV die Genauigkeit der abgeleiteten Produkte, besonders im statischen Fall, erheblich verbessert. Für mobile Anwendungen, wo das GDV-Pattern nicht rotations-symmetrisch ist, sind zusätzliche Daten zur relativen Lagenänderung der Antenne erforderlich. Die Nicht-Rotations-Symmetrie des GDV-Patterns stellt eine Herausforderung für mobile Anwendungen dar.
2. Einfluss von GDV auf die differentielle codebasierte Positionierung DGPS
Die Untersuchung erweitert sich auf den Einfluss von GDV auf die differentielle codebasierte Positionierung (DGPS). Die Berücksichtigung der GDV-Korrektur führt zu einer Verbesserung der Koordinatenlösung. Anhand eines asymmetrischen Antennenaufbaus, typisch für Low-Cost-Anwendungen, werden die Größenordnungen der zu erwartenden Codephasen-Variationen analysiert. Die Berechnungen basieren auf Einfachdifferenzen (Inter-Stationsdifferenzen) in einem herkömmlichen SPP-Algorithmus (Hofmann-Wellenhof et al., 2008). Die Ergebnisse zeigen Verbesserungen in allen drei Koordinatenkomponenten, mit maximalen Verbesserungen von bis zu 1.7m in der Höhenkomponente und bis zu 1m in der Nord- und Ostkomponente. Das verbesserte, homogenere Verhalten der Koordinatenlösungen ist auch bei geänderter Antennenorientierung reproduzierbar, was die instrumentelle Natur der GDV-Abweichung bestätigt und deren systematischen Einfluss auf die Messdaten unterstreicht.
3. Einfluss von GDV auf die Zeit und Frequenzübertragung mittels PPP
Der Einfluss von GDV auf die Zeit- und Frequenzübertragung im Rahmen von Precise Point Positioning (PPP) wird analysiert. Die Ergebnisse einwöchiger PPP-prozessierter Zeitreihen zeigen, dass der Einfluss von GDV bei geodätischen Referenzstationsantennen auf die PPP-basierte Zeitübertragung unterhalb des Rauschens liegt. Dies wird durch zwei Faktoren erklärt: erstens das geringere Gewicht der Codephasenbeobachtungen im Vergleich zu Trägerphasenbeobachtungen im Kalman-Filter (σP3 ≈ 0.6m vs. σL3 ≈ 0.003m), wodurch GDV-Korrekturen im Rauschen absorbiert werden; und zweitens die geringen GDV-Werte der verwendeten Antennen. Die Relevanz von GDV für die Zeit- und Frequenzübertragung hängt somit vom Zusammenspiel der GDV-Größenordnung, der verwendeten Antenne und der Datenprozessierung ab und muss differenziert betrachtet werden. Die Studie betont, dass die Relevanz von GDV im Koordinatenraum auch von der Datenmodellierung und -verarbeitung abhängt.
III.Kalibrierung und Datenaustausch
Die Kalibrierung der GDV erfolgt im Rahmen eines feldbasierten Ansatzes mit einem Power-Cube Roboter am Institut für Erdmessung (IfE) in Hannover. Die Arbeit diskutiert die Notwendigkeit eines einheitlichen und unabhängigen Datenformats für den Austausch von GDV-Daten, ähnlich dem ANTEX-Format für PCV. Ein neuer Ansatz für die Darstellung von GDV in einem erweitertem ANTEX-Format wird vorgeschlagen, um die Vergleichbarkeit von Ergebnissen verschiedener Institutionen zu gewährleisten und den Anforderungen des Multi-GNSS-Betriebs gerecht zu werden. Die Arbeit identifiziert die verwendeten GNSS-Empfänger (z.B. Javad Delta TRE_G3T) als eine wichtige Quelle von Unsicherheiten im Kalibrierungsprozess. Das Institut für Erdmessung (IfE) in Hannover und dessen Verfahren zur absoluten Antennenkalibrierung spielen eine zentrale Rolle.
1. GNSS Antennenkalibrierung Das Hannoversche Verfahren
Die Kalibrierung der Group Delay Variations (GDV) erfolgt mittels des am Institut für Erdmessung (IfE) in Hannover entwickelten Verfahrens zur absoluten GNSS-Antennenkalibrierung. Dieses Verfahren, das bereits seit über einem Jahrzehnt für die Kalibrierung von Phase Centre Variations (PCV) eingesetzt wird und international Anerkennung genießt (IGS), nutzt einen präzise kalibrierten PowerCube Roboter. Die Messanordnung beinhaltet eine Referenzantenne und den Antennenprüfling, jeweils mit einem Empfänger verbunden; optional wird ein externes Frequenznormal (z.B. Stanford Rubidium FS725) verwendet, um den Empfängeruhrfehler zu reduzieren. Die Datenaufzeichnung und Roboter-Steuerung (Programme wie gnrobot, gnnet, ACA_IfE) erfolgen über eine zentrale Recheneinheit. Die erreichte wiederholbare Anfahrgenauigkeit des Roboters beträgt 0.25mm, was durch ein detailliertes geometrisches Robotermodell ermöglicht wird (Meiser, 2009). Vorarbeiten von Böder (2002), Menge (2003) und Dilssner (2007) bilden die Grundlage dieser Arbeit. Die Bedeutung des Hannoverschen Verfahrens wird durch die kontinuierliche Durchführung von nationalen und internationalen Workshops (z.B. Campbell und Witte, 1999; Seeber et al., 2000; Campbell und Görres, 2001) unterstrichen.
2. Datenaustausch und Datenformate für GDV
Der Abschnitt adressiert die Notwendigkeit eines einheitlichen und unabhängigen Datenformats für den Austausch von GDV-Daten, ähnlich dem ANTEX-Format für PCV. Derzeit existiert ein firmenspezifisches Format (Wübbena und Schmitz, 2013), das jedoch nicht den Anforderungen langfristiger Vergleichbarkeit und uniformer Implementierung genügt. Drei Ansätze zur GDV-Datenhaltung werden diskutiert: Erweiterung des bestehenden ANTEX 1.4 Formats (mittels Labels wie START OF FREQUENCY GDV), Umbenennung von Primärschlüsseln und die Implementierung eines neuen, flexibleren Ansatzes für Multi-GNSS-Daten. Der dritte Ansatz, der eine höhere Flexibilität für Multi-GNSS-Daten und eine bessere Kompatibilität mit bestehenden Formaten wie RINEX 3.02 verspricht, wird bevorzugt. Die zukünftige Notwendigkeit eines solchen Formats wird im Kontext der zunehmenden Anzahl an Beobachtungen (Code- und Trägerphase) und komplexeren Signalarchitekturen (z.B. I- und Q-Komponenten bei GPS L5 oder Galileo E5) hervorgehoben (Gurtner und Estey, 2013).
IV.Analyse der Schätzbarkeit und des Einflusses von Systemparametern
Eine SVD-Analyse der Kofaktorenmatrix wird durchgeführt, um die Schätzbarkeit der unbekannten Parameter im Modell zu untersuchen. Die Analyse zeigt die hohe Sensitivität der Schätzung aufgrund der begrenzten Datenverfügbarkeit (nur Halbkugel statt Vollkugel). Der Einfluss von Empfänger-spezifischen Parametern, wie den Einstellungen der Codephasenregelschleife (DLL) und der Trägerphasenregelschleife (PLL), auf die Genauigkeit der GDV- und PCV-Schätzung wird diskutiert. Die Arbeit unterstreicht die Bedeutung einer sorgfältigen Modellierung und Berücksichtigung von Nahfeldeffekten für eine präzise Antennenkalibrierung.
1. Schätzbarkeit der GDV SVD Analyse und Modellierung
Dieser Abschnitt analysiert die Schätzbarkeit der unbekannten Parameter (GDV-Koeffizienten) im Modell. Eine Singular Value Decomposition (SVD)-Analyse der Kofaktorenmatrix der Unbekannten (Qxx) liefert Einblicke in die Stabilität und Kondition der Lösung. Verschiedene sphärisch-harmonische Entwicklungen (SH(n,m)) werden verglichen, darunter die Standard-SH(8,5)-Entwicklung. Die Analyse zeigt, dass die Schätzung sehr sensitiv auf die Datengeometrie reagiert, da eine Vollkugel geschätzt wird, aber nur Daten einer Halbkugel vorliegen. Die Kondition der Normalgleichungen steigt mit zunehmender Auflösung der SH-Koeffizienten, unabhängig von der Beobachtungsgewichtung. Die SVD-Analyse der Designmatrizen zeigt, dass für eine optimale Bestimmung der GDV/PCV-Pattern eine ausreichende Beobachtungsdichte über eine Halbkugel notwendig ist. Suboptimale Beobachtungen, beispielsweise aufgrund kurzer Beobachtungszeiträume, können identifiziert und aus der Analyse ausgeschlossen werden. Die Verbesserung der Schätzbarkeit durch das gezielte Isolieren und Eliminieren von horizontsymmetrischen Termen wird diskutiert.
2. Einfluss von GNSS Empfängereinstellungen
Der Einfluss der GNSS-Empfängereinstellungen auf die GDV-Kalibrierung wird thematisiert. Es werden Javad Delta TRE_G3T Empfänger verwendet, deren Tracking-Eigenschaften während der Kalibrierung konstant gehalten wurden. Eine detaillierte Analyse des Einflusses der Tracking-Parameter (Codephasenregelschleife – DLL und Trägerphasenregelschleife – PLL) wird als zukünftige Forschungsaufgabe identifiziert, insbesondere im Hinblick auf die Vergleichbarkeit von GDV-Patterns. Die Einstellungen der PLL können einen signifikanten Einfluss auf die PCV-Kalibrierung haben (Abschnitt 6.6). Die Arbeit unterstreicht die Bedeutung der Berücksichtigung dieser Empfänger-spezifischen Effekte für eine verbesserte Vergleichbarkeit und Reproduzierbarkeit der Ergebnisse. Die möglichen Abweichungen zwischen gleichzeitig bestimmten PCV von GPS/GLONASS L2, die bis zu 2mm betragen können, werden als wichtiger Punkt im Kontext der Vergleichbarkeit verschiedener Kalibriereinrichtungen und der Interoperabilität von GNSS im IGS Multi-GNSS-Experiment (MGEX) hervorgehoben (Montenbruck et al., 2013).